»ID4 - INDEPENDENCE DAY: DER TAG, AN DEM WIR ZURÜCKSCHLAGEN«

Save The Planet!

Big in Hollywood: Roland Emmerichs neuer Film ist nicht nur unglaublich erfolgreich, sondern auch ziemlich gut.

Am Anfang sehen wir Fußspuren auf dem Mond, eine US-Fahne, ein bißchen Müll, den die Astronauten seinerzeit bei ihrem extraterrestrischen Ausflug zurückgelassen haben. Dann Vibrationen. Die Spuren werden getilgt. Das liegt bestimmt nicht in der Absicht der Aliens, die in einem ungeheuer großen und ziemlich schartigen Raumschiff im Orbit festmachen. Diese Aliens interessieren sich nicht für den Mond.
Schnitt. Irgendwo in New Mexico warten Menschen auf Zeichen außerirdischen Lebens, ein Assi übt Stubengolf, und im Radio singen REM "It's the end of the world as we know it". Da haben sie recht. Dann Aufregung. Bildschirme zeigen die Ankunft eines UFOs. Schnitt. Ein betrunkener Agrar-Pilot, der gerne davon berichtet, wie er vor einigen Jahren von einem UFO entführt wurde, wird von seinen Kumpels gehänselt. Schnitt. In einem New Yorker Fernsehstudio rätselt man über die UFO-Nachricht. Schnitt. Ein junger Luftwaffenpilot räkelt sich am Morgen mit seiner Freundin im Bett, während die Nachbarn fluchtartig ihre Häuser verlassen. Schnitt. Krisenstab im weißen Haus. Und zwischendurch immer wieder das Monster-UFO, von dem sich kleinere Riesen-UFOs mit Kurs auf die Erde entfernen.
Ein ruhiger, zwar ereignisreicher, aber beinahe entspannter Anfang. Der Zuschauer ahnt, daß ihn Ungeheuerlichkeiten erwarten, und Roland Emmerich läßt sich Zeit.
Noch weiß keiner, was los ist. Der Präsident (Bill Pullman) rätselt, ob die Aliens freundlich sind, sein Verteidigungsminister (James Rebhorn) bezweifelt das. Inzwischen hat in New York der Computerexperte David Levinson (Jeff Goldblum) herausgefunden, was die Signale bedeuten, die sich die UFOs gegenseitig zufunken: Ein Countdown. In letzter Minute gelingt dem Präsidenten die Flucht, dann löschen die UFOs Washington, New York und einige andere Städte aus. Kein Zweifel: diese Aliens sind fies. Und Roland Emmerich hat kaum noch zwei Stunden, um die Welt zu retten. Aber er hat fähige Helfer. Und er hat die führende Nation, die USA, die die Initiative ergreifen und am Ende nach einem verlustreichen Kampf einen neuen Unabhängigkeitstag feiern können, die für einen Moment die Menschheit (incl. Russen und Chinesen) im Aufbegehren gegen eine Fremdherrschaft einen, die hier mit Vernichtung identisch ist.
Es stimmt: Independence Day ist ein sehr politischer Film, und das ist Emmerich und seinem Co-Autoren und Produzenten Dean Devlin sicher nicht egal. Sie haben es in Kauf genommen, weil Popcorn-Movies Helden brauchen, Leitfiguren, Opfer und große Taten. Heroismus. Und weil das drohende Ende der Menschheit fad wäre, stellten sich die Retter ohne große Gefühle ihrer Aufgabe. Kein Job für Dirty Harry.
Independence Day ist allerdings anders politisch, als ihm gerne vorgeworfen wird. Independence Day steht nicht in der Tradition der antikommunistischen 50er-Jahre-Invasionsfilme, weil es da immer um Infiltration ging. Hier wird nicht infiltriert, niemand gibt sich für etwas anderes aus, auch die Aliens nicht. independence day ist ein Katastrophen-Film. So subtil wie eine scharfgemachte Handgranate - ein Popcorn-Movie, gebaut wie ein Popcorn-Movie und es funktioniert wie ein Popcorn-Movie. Nur, daß man am Ende ziemlich viel Popcorn übrig hat, weil man wenig Zeit hatte, es zu essen. Zu groß sind dieser Film, seine Bauten, seine Effekte, seine Helden und natürlich auch seine Gefühle. Und weil Gigantomanie allein sich nie auszahlt, ist er gespickt mit witzigen Sub-Plots, Anspielungen, Ironien und einfach netten kleinen Einfällen wie dem REM-Song am Anfang.
Independence Day ist natürlich ein moderner Großfilm, seine Spezialeffekte sind allgegenwärtig und von einer beinahe makellosen Qualität. Der Angriff der UFOs, das Auslöschen der Städte, die Flugzeug-/Mini-UFO-Verfolgungjagden: alles in allem eine FX-Orgie. Wo aber Filme wie etwa Twister sich damit bescheiden, unmögliche Bilder zu zeigen, könnte man sich Independence Day auch ohne die Effekte vorstellen. Naja, nicht ganz, aber die Geschichte würde auch einige Nummern kleiner funktionieren. Weil es sie gibt. Und weil sie - unter Berücksichtigung der genre-typischen Unwahrscheinlichkeiten - auch ziemlich solide gebaut ist: die Beziehungen der Helden zueinander, ihre Tiefe, ihre Persönlichkeit. Es sind zwar Comic-Figuren, aber sie interessieren den Zuschauer nicht wegen ihres Heldentums, sondern wegen ihrer Menschlichkeit.
ID4 - Independence Day: Der Tag, an dem wir zurückschlagen (die 20th Century Fox of Germany sollte dringend ihre Titelpolitik überdenken!) hat am Startwochenende in den USA mehr als 100 Millionen Dollar eingespielt und verspricht, einer der erfolgreichsten Filme überhaupt zu werden. Das ist für uns Zuschauer kein Wert an sich, aber ich muß sagen, daß ich mich einfach freue. Weil der Film sehr liebevoll gearbeitet ist. Und weil ich mich für Roland Emmerich freue, der mir schon auf seiner Promo-Tour für Stargate mit der Begeisterung eines kleinen verspielten Jungen von Independence Day erzählt hat: "Ich bin ein Riesen-Fan von Desaster-Movies. Mir waren nur die Desaster immer zu klein. So'n Schiff, das sich umdreht oder ein Erdbeben, das hat's alles schon gegeben. Das größtmögliche Desaster wäre eine Invasion von uns nicht sehr freundlich gesinnten Außerirdischen, die uns einfach ausrotten wollen. Und wie das als Desaster-Movie aussehen würde!"
Es ist einfach schön, wenn man bei einem Film den Spaß spürt, mit dem er gemacht wurde. Und es ist noch schöner, wenn er beim Ansehen genauso viel Spaß macht.

Jens Steinbrenner