IN DEN SÜDEN
Lost Weiße Ladys auf einer Insel der Glückseligkeit
Einen schwarzen Mann in Harlem würde sie niemals anfassen. Aber hier, auf der Insel, lässt sich Ellen, US-Amerikanerin, Anfang 50, weiß, von schwarzen Boys massieren und vögeln. Wir befinden uns im Haiti der späten 70er, in der Endphase der Herrschaft der Duvaliers. Während Staatschef "Baby Doc" die Bevölkerung terrorisiert und massakriert, kommen alleinstehende weiße Damen "in den besten Jahren" auf die Insel, um sich sexuell versorgen zu lassen. Man sitzt am Strand, plaudert, schäkert, schmust und schlägt sich ab und zu in die Büsche oder geht zum Vögeln aufs Zimmer. Mit den schwarzen Boys erlebt selbst die vertrocknete Brenda, 44, aus Georgia, ihren ersten Orgasmus.
Irgendwie erhebt die Eifersucht ihr häßliches Haupt, ein bisschen Politik spielt hinein, zwei ermordete Schwarze liegen irgendwann am Strand, die Damen fahren leicht irritiert nach Hause.
Aus einer Reihe Kurzgeschichten (von Dany Laferrière) bastelte Laurent Cantet seinen Film zusammen. Der Film sieht so aus, wie Cantet ihn im Presseheft beschreibt: Er wollte keinen "filmischen" Film machen, er wollte möglichst viel der Geschichten direkt übernehmen. Weshalb wir unvermittelt Monologe erdulden müssen (teilweise direkt in die Kamera gesprochen), in der die Beteiligten ihre Geschichten und Ansichten mitteilen. Man sitzt als Zuschauer fassungslos davor und denkt: ich würde jetzt eigentlich lieber ein Buch lesen.
Was das Kino dieser schönen Story hätte entreißen können, interessierte Cantet nicht. Es gibt keine "schönen" Bilder, nur Nahaufnahmen, Unschärfe und diesiges Licht. Es gibt keine emotional fesselnde Geschichte, und selbst die große Coole aus England, Charlotte Rampling, agiert unter Cantets Regie wie eine aufgekratzte Anfängerin am Stadttheater. In den Süden hat keine Sinnlichkeit und keinen Verstand. Er traut sich nicht einmal, einfach nur zu beobachten (was ja ein vernünftiger Kompromiss gewesen wäre, wenn man schon der touristischen Postkartenfalle entgehen will), sondern will ständig demonstrieren: eigentlich war ich mal ein Buch.
Nebenbei: Der im Film enttäuschend vage thematisierte Rassismus setzt sich im Presseheft fort. Die weißen Schauspielerinnen werden ausführlich und mit Filmographien vorgestellt. Über die schwarzen Darsteller erfährt man kein Wort.
Thomas Friedrich
Vers le Sud. F 2005 R: Laurent Cantet. B: Laurent Cantet, Robin Campillo, K: Pierre Milon. D: Charlotte Rampling, Louise Portal, Karen Young, Ménothy Cesar, Lys Ambroise
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