INCEPTION

Krieg im Kopf

Christopher Nolan dreht einen Actionfilm fürs Unterbewusstsein


Das Interview zum Film

Während zwei Personen in einem Pariser Straßencafè sitzen, beginnt sich die Welt um sie herum aufzulösen. Im Hintergrund explodiert die Auslage eines Obst- und Gemüseladens. Orangen, Äpfel, Salatköpfe und Kisten fliegen wie Popcorn durch die Luft. Die Fassaden der Häuser fangen an zu bröckeln. Gebäude sinken in sich zusammen, als hätte man ihnen die Beine weggeschlagen. Es ist kein Verlass auf diese Welt. Auch wenn die Bilder der Pariser Straßenzüge vertraut erscheinen, kann das Auge sich nicht an ihnen festhalten. Wir sind nicht nur im Kino, sondern mitten im menschlichen Unterbewusstsein, wo die Imagination wütet, mit dem Vertrautem spielt, Traumwelten nach Belieben erschafft und zerstört.

In Christopher Nolans Inception werden - als letzte Bastion gegen die Herrschaftsansprüche des Verstandes - auch die menschlichen Träume von der Ratio infiltriert. Ein neues technisches Verfahren ermöglicht via "Dreamsharing" den Zugang zum Unterbewusstsein. Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) gilt auf dem Gebiet der Hirnspionage als der beste seines Faches. Private Unternehmen heuern den "Extraktor" an, um die Betriebsgeheimnisse der Konkurrenz zu erkunden. Das illegale Gewerbe hat Cobb ganz nach oben auf die Fahndungsliste des FBI gebracht und den Weg zurück nach Hause zu Frau und Kind für immer versperrt.

Der einflussreiche Geschäftsmann Saito (Ken Watanabe) bietet ihm internationale Immunität an. Im Gegenzug soll der erfahrene Traumdieb nicht ein Geheimnis stehlen, sondern eine firmenschädigende Idee in den Kopf des Konkurrenten einpflanzen. Gemeinsam mit seinem Team (Ellen Page, Tom Hardy, Joseph Gordon-Levitt) bereitet Cobb die Manipulation wie einen Bankraub vor, wird in diesen übereinander geschichteten Traumkonstruktionen jedoch auch von seinen eigenen Dämonen heimgesucht, wodurch das Unternehmen außer Kontrolle gerät.

Mit Inception inszeniert Christopher Nolan einen Actionfilm im Unterbewusstsein. Damit bringt er seine Vorliebe für vielschichtige Erzählweisen und die Grenzregionen des Verstandes, die frühe Independent-Filme wie Memento auszeichneten, mit seinen Erfolgskonzepten für ein anspruchsvolles Mainstreamkino zusammen, wie sie sich zuletzt in The Dark Knight bewährt haben. Herausgekommen ist ein hochkomplexes Stück Kino, das immer neue filmische Räume eröffnet, tief und visuell fassbar in die Psyche seiner Hauptfigur eindringt und trotzdem als rasantes Action-Abenteuer auf der Leinwand besteht.

Seit Matrix hat man solch klug strukturiertes Popcornkino nicht mehr gesehen. Anders jedoch als die Gebrüder Wachowski fährt Nolan die digitalen Effekte weitestgehend herunter. Gedreht wurde hauptsächlich vor Originalkulissen und auf traditionellem Filmmaterial, das punktuell digital nachbearbeitet wurde. Das Ergebnis hat eine optische Brillanz und visuelle Wahrhaftigkeit, um die die Pixelingenieure noch lange ringen werden.

Zwischen den übereinander gelagerten Erzählebenen und Interpretationsangeboten reflektiert Inception natürlich auch die Bedeutung des Kinos selbst, indem er einerseits die ganze visuelle Verführungskraft des Mediums vorführt, gleichzeitig aber auch ein tiefes Misstrauen und eine produktive Verunsicherung gegenüber der Verlässlichkeit der Bilder säht.

Martin Schwickert

USA 2010 R&B: Christopher Nolan K: Wally Pfister D: Leonardo DiCaprio, Marion Cotillard, Ellen Page