IN AMERICA Hartes Pflaster
New York ohne Skyline- Patriotismus Der aufregendste Weg mit dem Auto nach Manhattan führt durch den Lincoln-Tunnel. Man taucht zwischen nichtssagenden Industriegebieten in die Erde ein, fährt unter dem Hudson hindurch und kommt fast mitten auf dem tosenden, neonbunten Times-Square heraus. In Jim Sheridans In America wird die Fahrt durch den Tunnel für die junge irische Emigrantenfamilie fast schon zum großstädtischen Erweckungserlebnis. Johnny, Sarah und ihre beiden Töchter versuchen, ihr altes Leben auf der anderen Seite des Tunnels zurückzulassen und wollen eintauchen in den amerikanischen Traum. Nicht die finanziellen Nöte haben das Leben in der Heimat unerträglich gemacht, sondern der Tod des zweijährigen Sohnes. Johnny (Paddy Considine) ist Schauspieler und tingelt am Broadway von einem Vorsprechtermin zum nächsten, während Sarah (Samantha Morton) mit einem Job in einer Eisdiele die Familie über Wasser hält. New York ist ein hartes Pflaster für einen Neuanfang als illegaler Einwanderer, für die Kinder ist es ein verwunschenes Märchenland. Aus ihrer Sicht erzählt der Film in bunten Farben vom finanziellen Überlebenskampf und der langsamen Verheilung der Seele. Sheridan, der hier eigene Erlebnisse fiktionalisiert, hat das Drehbuch gemeinsam mit seinen beiden Töchtern geschrieben und die Geschichte mit einer guten Portion magischen Realismus versetzt. Das verrottete Mietshaus mit seinen vornehmlich drogenabhängigen Bewohnern wird durch das Auge der Kamera zum verwunschenen Ort. Hier verschmelzen die Härten des Großstadtlebens mit der kindlichen Sehnsucht nach Märchengeschichten und ausgerechnet der "Schwarze Mann" (Djimon Hounsou), vor dem alle im Haus am meisten Angst haben, wird für die Familie zum Erlöser. Sheridan, dessen bisherige Filme ( Im Namen des Vaters / Der Boxer ) hauptsächlich die politischen Verhältnisse in Irland reflektierten, balanciert in dieser intimen Familiengeschichte Komik und Tragik, Fantasie und Realismus, irische Erzähltraditionen und amerikanische Mythen perfekt aus. Kein Rührstück, sondern traumsicher inszeniertes Erzählkino und eine aufrichtige Liebeserklärung an New York ohne den üblichen Skyline-Patriotismus.
Martin Schwickert
USA 2003 R: Jim Sheridan B: Jim, Naomi & Kirsten Sheridan K: Declan Quinn D: Samantha Morton, Paddy Considine, Djimon Hounsou
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