»ICH WEISS, WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST«

Genre am Haken

Nach »Scream« kommt der Horror jetzt wieder ernst daher

Der Fall scheint klar: Ich weiß, was Du letzten Sommer getan hast ist der erste der unvermeidlichen Nachzieher des Horrorhits Scream . Genau wie in Scream wird eine Gruppe junger Leute von einem Killer nach und nach abgemurkst, Hauptdarstellerin Jennifer Love Hewitt gehört, wie Scream -Star Neve Campbell, zum Stamm der Teenieserie Party of Five , und Drehbuchautor Kevin Williamson schrieb vorher, genau, Scream . Was beide Filme nun allerdings voneinander unterscheidet ist die Tatsache, daß Ich weiß ... auf jede Form von Humor oder gar Selbstironie verzichtet. Dieser Film nimmt seine Geschichte vom Abschlachten schöner, junger Menschen ausnahmsweise ernst.
Anlaß für all die Metzelei ist ein tragischer Unfall, bei dem vier angetrunkene Kids nach einer Feier einen Fußgänger plattfahren. Da die vielversprechenden Highschoolabgänger keine Lust haben, ihre goldene Zukunft aufs Spiel zu setzen, schmeißen sie die Leiche kurzerhand ins Meer und vereinbaren absolutes Stillschweigen.
Ein Jahr später. Obwohl die Leiche nie gefunden wurde, hat ein Gefühl der Schuld seine Spuren im Leben der zwei Jungen und zwei Mädchen hinterlassen. Die plötzlich auftauchenden anonymen Briefe, in denen nur der titelgebende Satz zu lesen ist, heben die Stimmung auch nicht gerade. Und bald erscheint eine unheimliche Gestalt, die, gewandet im Ölzeug eines Fischers und bewaffnet mit einem großen, rostigen Haken, Rache ausübt...
Es handelt sich eindeutig um eine simple Slasherstory im Stil von Halloween, Freitag der 13 . und wie sie alle hießen. Um so etwas heute noch einigermaßen erfolgreich über die Bühne zu bringen, muß man sich als Drehbuchautor schon etwas einfallen lassen. Bei Scream konnte Williamson dies mit einer einfachen Flucht nach vorn bewerkstelligen, indem er sämtliche Klischees des Subgenres bewußt überzeichnete und der Lächerlichkeit preisgab. Das kann man allerdings nur einmal machen (bzw. zweimal, Scream 2 kommt im April). Also geht Williamson hier den umgekehrten, weit schwierigeren Weg: Er versucht tatsächlich, seinen Charakteren (jawohl!) so etwas wie Leben einzuhauchen und die verquere Gefühlswelt der malträtierten Teenager sichtbar zu machen. Die aufgeladene Schuld treibt diesen Schönlingen bald häßliche Ringe unter die Augen, und die aufkommende Angst bringt sie ganz schön ins Schwitzen - der wahre Alptraum des deophilen Amerika.
Um dieses für einen Teenie-Horrorfilm doch recht ambitionierte Drehbuch adäquat umzusetzten, ist natürlich ein überdurschnittlicher Regisseur vonnöten. Nun ist Jim Gillespie, der wie so viele vor ihm vom Musikvideo-Macher direkt zum Spielfilmregisseur avancierte, kein Wes Craven. Dazu läßt er in einigen Sequenzen die Zügel zu sehr schleifen, bringt nicht immer die nötige Energie auf die Leinwand, um wirklich atemlose Spannung zu schaffen. Andererseits gelingt es ihm durchaus, mit teilweise überraschend eleganter Kameraarbeit eine bedrohliche Atmosphäre heraufzubeschwören: Während der Feierlichkeiten zum amerikanischen Unabhängigkeitstag wird in einer kleinen Seitenstraße ein Mädchen umgebracht. Senkrecht von oben, in die bunten Lichter des Feuerwerks getaucht, sieht man ihren Kampf mit dem Mörder, während nur wenige Meter entfernt eine Parade vorbeimarschiert. Das hat was.
Ebenfalls überraschend ist der relativ geringe Splatteranteil. Lediglich in zwei oder drei Szenen spritzen die erwarteten Blutfontänen durchs Bild, der Rest der Morde findet im Off statt. Was nicht bedeuten soll, daß der Film mit wohlplazierten Schockmomenten geizt, sondern wohl ein weiteres Zeichen für die etwas anderen Intentionen darstellt. Wer einen Film möchte, der dem Zuschauer pausenlos sagt, wie hip und cool er doch ist, liegt hier falsch. Wer aber Freitag der 13. mochte (und auch keine Probleme damit hat, das öffentlich zuzugeben), wird hier seinen Spaß haben.

Matthias Borghoff