HUNDSTAGE Schweiß und Tränen
Ulrich Seidls Beobachtungen der Einsamkeit Es ist Sommer und es ist unerträglich heiß am Wiener Stadtrand. Die Luft flirrt über den Parkplätzen und betonierten Eigenheimsiedlungen. Im Radio wird vor aufgebrochenen Asphaltdecken gewarnt. Die Menschen schwitzen, entblößen sich, haben nur das Nötigste am Leib. Was da in der Hitze zum Vorschein kommt, ist nicht immer vorteilhaft. Da ist ein alter Mann, so dick, dass er zappeln muss wie eine Schildkröte, um aus dem Bett herauszukommen. Schwer atmend verrichtet er mit penibler Sorgfalt die Gartenarbeit. Zum Hochzeitstag putzt sich der Witwer heraus und gibt seiner alten Haushälterin ein paar Schilling mehr für einen Striptease nach Feierabend. Es sind immer wieder die ungeschönten, nackten Körper, die die Episoden aus der überhitzten Wiener Peripherie in Ulrich Seidls Hundstage verbinden. Nüchtern schaut die Kamera durch das Sichtfenster eines Swinger-Clubs, in dem sich Frauen und Männer beim Gruppensex mechanisch vergnügen. Der Film folgt einer der Frauen nach Hause ins Eigenheim, das sie sich in wortloser Koexistenz mit ihrem Ex-Mann teilt. Der Unfalltod der Tochter hat die Ehe sterben lassen. Während sich die Frau oben kichernd mit einem Callboy vergnügt, drischt der Mann unten einen Tennisball gegen die Wände des leeren Swimming-Pools. Seidl findet treffende Bilder für die tiefe Einsamkeit seiner Figuren. Dieser Sensibilität steht die voyeuristischer Hartnäckigkeit gegenüber, mit der die psychischen und sexuellen Deformationen der Menschen rücksichtslos entblößt werden. Das kippt oft auch ins schmerzhaft Absurde, z.B. wenn nach einem gewalttätigen Sauf- und Sexgelage der Übeltäter gezwungen wird, mit einer brennenden Kerze im Hintern die österreichische Nationalhymne zu singen. Die einzig Arglose im vorstädtischen Horrorkabinett scheint die verrückte Anhalterin zu sein, die die Autofahrer mit ihren staccatoartigen Redeschwallen unterhält und mit naiver Offenheit die indiskretesten Fragen stellt. Aber auch sie trifft auf die latente Gewaltbereitschaft der Vorstädter. Mit typisch österreichischer Gnadenlosigkeit blickt der Dokumentarfilmer Ulrich Seidl ( Models / Tierische Liebe ) in seinen ersten Spielfilm in die seelischen Abgründe der Normalbevölkerung. Sein Blick auf die Figuren ist präzise und vielschichtig. Mal ist er der Laborant, der seine Versuchsstiere in Extremsituationen hineintreibt. Dann wieder schimmert tiefes Mitgefühl mit den sich selbst ausliefernden Charakteren durch. Zuneigung und Verachtung bestimmt das Verhältnis der Figuren zueinander, und aus diesem Widerspruch ergibt sich auch die Erzählhaltung des Films. Auch im Kinosessel wird man hin und her geworfen zwischen heftigen Abwehrreaktionen und aufrichtigem Interesse, zwischen Ekel und Voyeurismus, zwischen Gelächter und Kloß-im-Hals-Gefühlen. Man möchte sich abwenden, aber dafür steckt in Seidls bitterem Zynismus zu viel abgrundtief menschliche Wahrheit.
Martin Schwickert
Ö 2001 R&B: Ulrich Seidl B: Veronika Franz K: Wolfgang Thaler D: Maria Hofstätter, Alfred Mrva, Erich Finsches
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