HULK

Monster mit Stil

Das Schwarze Schaf der Marvel-Familie sieht bei Ang Lee gut aus

Wie Flaschengeister befreien sich die Comic-Helden in den letzten Jahren von ihrer beengten Vierfarbdruck-Existenz und stürmen digital animiert auf die große Leinwand. Nach Blade , X-Men , Spider-Man und Daredevil komplettiert Ang Lee mit Hulk das Arsenal der Reinkarnationen aus dem Comic-Imperium des Marvel -Verlags. Ang Lee? Arthouse-Puristen wittern Verrat. Popcorn-Cineasten schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Aber der Widerspruch ist nur vordergründig, denn der gebürtige Taiwanese ist ein bekennender Genre-Hopper, der das Naheliegende immer gemieden hat. An Jane Austen ( Sinn und Sinnlichkeit ) hat er sich ebenso erfolgreich versucht, wie den Mythen des amerikanischen Bürgerkrieges ( Ride with the Devil ) und den Traditionen des Martial-Arts-Films ( Tiger & Dragon ).
Auf der anderen Seite: Hulk. Der Außenseiter der Marvel -Familie und in den USA seit 1962 fester Bestandteil der Popkultur. Ein tragischer Held, der mit der eigenen, schizophrenen Existenz hadert. Ein Monster, geboren aus den Angstfantasien des Kalten Krieges. In einem Labor des Pentagon hat der Vater in den 60ern genetische Selbstversuche betrieben. Dreißig Jahre später ahnt dessen Sohn Bruce (Eric Bana) nichts von seinen Kräften, bis eine Überdosis radioaktiver Strahlung in ihm das Tier im Manne weckt. Einmal in Rage geraten, verwandelt sich der introvertierte Wissenschaftler in einen grünen Riesen, der ein bisschen so aussieht, als hätte man den Körper Arnold Schwarzeneggers zu fest aufgeblasen und grün angemalt.
Fast eine Stunde lässt Ang Lee sich mit dem ersten Auftritt des Monsters Zeit. Im Gegensatz zu den Spider- und X-Men-Verfilmungen verzettelt er sich nicht im High-Tech-Gemetzel, findet immer wieder zurück zu seinem psychologischen Grundraster, das den Konflikt zwischen Schöpfer und Monster als ödipales Drama zwischen Vater (Nick Nolte) und Sohn in Szene setzt.
Aber weniger durch freudsche Küchenpsychologie überzeugt die Comicadaption als durch ihren visuellen Stil. Anders als Brian Singer in X-Men tut Lee nicht so, als gelte es, das Kino digital neu zu erfinden. Im Gegenteil: Hulk wird fest in seinem Entstehungskontext der 60er Jahre verankert und von Kameramann Frederick Elmes ( Der Eissturm ) mit einem stimmungsvollen Retrolook glasiert. Immer wieder verbeugt sich Lee vor den Klassikern des Monsterfilms wie Frankenstein , King Kong und Dr.Jekyll and Mr. Hyde . Trotz der sechs Terrabyte an Datenmaterial, die Industrial Light & Magic verarbeitet hat, wirkt Hulk über weite Strecken eher nostalgisch. Aus dem sichtbaren Ringen um eine filmische Identität zwischen Genretraditionen und modernem Popcornkino entwickelt das feinfühlig ausgesteuerte Monstermovie seinen eigenen Stil. Deutlich ragt Lees selbstbewusster Flirt mit der Blockbuster-Branche aus der diesjährigen Hollywood-Sommerverblödungskollektion heraus.

Martin Schwickert

USA 2003 R: Ang Lee B: James Schamus, John Turman, Michael France K: Frederick Elmes D: Eric Bana, Jennifer Connelly, Sam Elliot, Nick Nolte