HOWL - DAS GEHEUL Geburtswehen der Moderne Allen Ginsberg erfindet die Moderne vor Gericht. Dokufiction mit »Fantasia«-Einschlag Wir sehen den besten Kopf seiner Generation, angefeuert von lyrischer Raserei, wie er nervös und wütend die Jugend des Landes durch eine verrauchte Studentenkneipe schleppt. Allen Ginsberg liest 1955 in San Francisco sein sehr langes Gedicht "Howl" vor, lobt den Jazz und geißelt die Großstadt, feiert die Ausgestoßenen und die Abartigen, und teufelt alttestamentarisch auf den Moloch der Moderne ein. Das Publikum raucht und nickt zustimmend im Rhythmus der rasenden Sprache. Rob Epstein und Jeffrey Friedman bauten für ihren Film den Club von damals nach, ließen James Franco Ginsbergs Gestik und Sprechmelodie üben und nahmen das ganze historisierend und quasi-live in Schwarzweiß auf. Zwei Jahre nach der Lesung kam das Gedicht vor Gericht. Wegen schlimmer Wörter wie "Schwanz" oder "Arschfick" hatte der Staat die erste, winzige Druckauflage beschlagnahmt. Jetzt stritten Literaturprofessoren über Obszönität und dichterischen Wert, und es wirkt fast wie eine Parodie, wenn stotternde Moralexperten unter anwaltlicher Befragung zugeben müssen, dass Allen Ginsberg sich offensichtlich besser in Welt und Bibel, Bildungskanon und dichterischen Formen auskennt als sie selbst. Die Regisseure folgen hier einfach der "Einspruch euer Ehren"-Dramaturgie in schönen Brauntönen. Noch etwas später gibt James Franco als Allen Ginsberg ein komplett erfundenes Interview mit echten Textstücken und sinniert über den Prozess des dichterischen Schaffens, sein Leben, seine Homosexualität und Freunde wie Jack Kerouac. Zur Poetik-Vorlesung vor Gericht kommt so noch etwas Zeitgeschichte, teils mit nachgestellten, teils mit echten Doku-Fotos. Dazwischen ruiniert der Film die Wucht des Vortrags und die Reflexion der Verhandlung durch Zeichentrick-Passagen, die Ginsbergs echter Illustrator Eric Drooker zu einer Art Beatnik-Fantasia hochkitscht. Da hackt der echte Ginsberg Buchstaben in seine Schreibmaschine, die werden zu Noten und später zu Flammen, ein animierter Saxofonist trötet Sternenströme über die nächtliche Stadt, ein glutäugiges Monster frisst kleine Kinder, kopulierende Strichmännchen explodieren in Wollust, es ist, nach dem ersten Mixed-Media-Erschauern, kaum auszuhalten. Dagegen war Pink Floyds The Wall geradezu Avantgarde. Etwas überraschend kommt dann das echte Ende, das den Aufstieg der Beat-Generation zum Phänomen überhaupt erst möglich gemacht hat. Der vorsitzende Richter weist nicht nur die Schweinkram-Klage ab, sondern begründet die Freiheit der Kunst und den gesellschaftlichen Wert der Dichtung. Man sollte mal einen Film über Richter Clayton Horn machen. Wing USA 2010 R + B: Rob Epstein, Jeffrey Friedman K: Edward Lachman D: James Franco, David Strathaim, Bob Balaban, Mary-Louise Parker
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