THE HOURS Lebenskrisen
Drei Frauen in drei Jahrzehnten Drei Frauen, drei Jahrzehnte, drei Stars. Nicole Kidman - soeben mit dem Oscar ausgezeichnet - spielt in Stephen Daldrys literarischer Zeitreise The Hours Virginia Woolf. Kaum wieder zu erkennen ist die ätherische Diva, denn ihr Gesicht wird durch eine Nasenprothese vollkommen verfremdet. Was bleibt, ist jedoch die Zerbrechlichkeit ihres hageren Körpers und die verbissene Willenskraft, die in dieser Physiognomie codiert zu sein scheint. Ihre Virginia Woolf ist ein Genie voller Selbstzweifel, das mit den Worten ebenso ringt wie mit dem eigenen Leben. 1923 beginnt sie ihren Roman Mrs. Dalloway , der sich atemlos in das pulsierende Leben Londons und mit seismographischer Genauigkeit in die Gedankenwelten ihrer Figuren hineinstürzt. Knapp dreißig Jahre später nimmt in einer sonnigen kalifornischen Eigenheimsiedlung eine Frau (Julianne Moore) das Buch in die Hand und lässt sich mit ihm durch ihr leeres Hausfrauendasein treiben. Mitten im Leben der Jetzt-Zeit hingegen steht die New Yorker Lektorin Clarissa (Meryl Streep), die als moderne Wiedergängerin von Woolfs Romanfigur angelegt ist. Clarissa bereitet eine Party vor für ihren Freund und Ex-Geliebten, der an AIDS erkrankt ist. Ein Tag nur im Leben eines Menschen reicht aus, um dessen ganzes Leben abzubilden, zu hinterfragen und auf den Kopf zu stellen. Das ist der Grundgedanke von Woolfs Mrs.Dalloway . Michael Cunningham hat ihn in seinem Roman Die Stunden verdreifacht und zu einem kaleidoskopischen Blick auf das vergangene Jahrhundert erweitert. Es geht um die Rolle der Frau in den 20er, 50er und 90er Jahren, aber auch um den Prozess des Schreibens, um die Rezeption von Literatur und darum, wie sie in die persönliche Wirklichkeit eingreift. Regisseur Stephen Daldry ( Billy Elliot ) ist es gelungen, die literarische Eleganz der Vorlage adäquat fürs Kino zu übersetzen. Die Jahrzehnte gleiten ineinander, ohne dass die Identität der einzelnen Geschichten verloren ginge. Aus dem Dreiklang der Erzählung entsteht wiederum ein eigenständiges filmisches Ganzes. Dabei ist der Wettbewerb, in den Nicole Kidman, Julianne Moore und Meryl Streep treten, der Sache durchaus dienlich, auch wenn die stille Verzweiflung von Julianne Moore weitaus mehr überzeugt als Meryl Streeps hyperaktives Krisenmanagement. Nichtsdestotrotz zeigt Daldry vor allem durch seine sensible Schnitt-Technik, wie sehr sich die Lebenskrisen der grundverschiedenen Frauen ähneln. Leider wird die Episodendramaturgie jedoch mit einem vollkommen überorchestrierten Musik-Score verklebt, was den Film unnötigerweise immer wieder in den Kitsch hineintreibt.
Martin Schwickert
USA 2002 R: Stephen Daldry B: David Hare, nach einem Roman von Michael Cunningham K: Seamus McGarvey D: Nicole Kidman, Julianne Moore, Meryl Streep, Claire Danes, Toni Collette
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