DIE HOCHSTAPLER
Gier nach Mehr
Wie man die Reichen nach Strich und Faden ausnimmt:
Jürgen H. sitzt in seinem Privatjet auf dem Weg zum Feriendomizil nach Ibiza. Auf die Bitte eines Freundes hin hat er zwei hochrangige Bankiers mitgenommen. Jürgen H. ist ein erfolgreicher Investmentberater, und die beiden Mitreisenden geben nicht eher Ruhe, bis der Privatjetbesitzer ihnen einen todsicheren Investitionsvorschlag macht. Zum Millennium wolle er mit einer ausrangierten Raumstation auf den Mond fliegen, die Tickets für vier Millionen Dollar an betuchte Klienten in den USA verkaufen und weitere Milliönchen durch Sponsorenverträge einstreichen.
Die Bankkaufleute sind begeistert und vertrauen Jürgen H. ohne weitere Nachforschungen hohe Kapitalbeträge an, die sie nie wieder sehen werden.
Jürgen H. ist einer der erfolgreichsten Betrüger der deutschen Kriminalgeschichte. In den Neunzigern hat er die Hamburger High Society um Millionenbeträge erleichtert. Sein Geschäft war die Gier der reichen Leute nach noch mehr Reichtum. Die meisten vertrauten ihm ihr Geld an, weil sie ebenso in Saus und Braus leben wollten wie Jürgen H. es auf ihre Kosten tat.
Jürgen H. ist einer von vier Betrügern die Alexander Adolph in seinem brillanten Dokumentarfilm Die Hochstapler porträtiert. Die Geschichten, die die Vier, die allesamt für ihre Taten im Gefängnis sitzen, nicht ohne Stolz erzählen, sind spektakulär.
Torsten S. wechselte seine Identitäten wie andere Leute ihre Unterwäsche und organisierte als amerikanischer Major sogar eine fingierte NATO-Sicherheitskonferenz. Peter G. schaffte es durch sein Verhandlungs- und Verwirrungsgeschick mit einem Barbetrag von 50.000 DM aus einer Bankfiliale herauszuspazieren.
Der ehemalige Textilverkäufer Mark Z. nutzte seine Empathievermögen dazu, dass er sich an wohlhabende Mittelständler heranmachte und sie über Monate hinweg ausnahm.
Die Qualität von Die Hochstapler besteht darin, dass sich Adolph von der spektakulären Oberfläche immer tiefer hineingräbt in die Psyche der Betrüger, die allesamt ein hohes Reflektionsniveau über ihre Taten an den Tag legen.
In den meisten Fällen starteten sie nach einer beschädigten Kindheit oder als Sohn streng religiöser Eltern ihre Hochstaplerkarrieren - angetrieben von der Sehnsucht, jemand anderes zu sein. Sie sprechen über den enormen Druck, der mit den wachsenden Lügengebäuden einhergeht, über die Einsamkeit, die mit dem geheimen Betrug verbunden ist, und den Realitätsverlust durch die Zweitidentität, die ständig um Glaubwürdigkeit bemüht sein muss.
Ganz nebenbei erzählt der Film auch von unserer Gesellschaft, von der Gier nach Geld und Anerkennung, vom Leichtsinn höchster Finanzwürdenträger, die sich nur zu gern von hohen Renditefantasien blenden lassen.
Das Ganze hat Adolph ebenso spannend wie tiefgründig montiert und mit einem ironischen vorantreibenden Musik-Score unterlegt.
Martin Schwickert
D 2006 R&B: Alexander Adolph K: Susanne Schüle , 84 Min.
Das Interview zum Film
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