AMERICAN HISTORY X

Der doppelte Held

Edward Norton dominiert diese Geschichte über US-Nazis mehr als gut sein kann

Rechtsradikalismus ist bekanntlich nicht nur ein deutsches Phänomen. Auch in den USA gibt es neben den traditionellen rassistischen Ku-Klux-Klan-Strukturen ein gut organisiertes Netzwerk von Neonazis
Das Zimmer, das der 16jährige Skinhead Danny Vinyard (Edward Furlong) im kleinen Bungalow in der südkalifornischen Küstenkleinstadt Venice mit seinem Bruder teilt, ist bis unter die Decke mit NS-Devotionalien dekoriert: Hakenkreuzflagge, Führerportrait und nahezu lebensgroße Bilder von SS-Offizieren. Sein Bruder Derek (Edward Norton) ist in der lokalen rechten Szene zur heldenhaften Ikone avanciert, weil er drei schwarze Autoknacker kaltblütig niedergeschossen hat. Die Filmhandlung setzt an dem Tag ein, an dem Derek nach dreijähriger Haft entlassen wird. In einer verschachtelten Rückblendendramaturgie erzählt Regisseur Tony Kaye die Geschichte der rechten Brüder auf mehreren Zeitebenen: die Entwicklung Dereks zum braunen Propagandisten, nachdem sein Vater als Feuerwehrmann bei einem Brand ums Leben kam, der von schwarzen Crack-Dealern gelegt wurde, seine schmerzhafte Besinnung und Wandlung im Knast und auf der Gegenwartsebene sein verzweifelter Versuch, den jüngeren Bruder dem Einfluß der Neo-Nazi-Szene zu entziehen.
Der britische Werbefilmer Tony Kaye macht es sich nicht einfach. Die Vinyard-Brüder entsprechen nicht dem Klischee rechter Dumpfbacken, sondern werden als intelligente, komplexe Figuren angelegt. American History X zeigt, wie schnell sich soziale Deklassierung und biographische Schicksalsschläge mit den Versatzstücken brauner Ideologie vermischen können und welche Eigendynamik rechte Erklärungsmuster freisetzen. Dabei wird die ganze Bandbreite rechter Gewalt sichtbar. Da sind die väterlichen Gesinnungskorrekturen beim Abendbrot nur der Anfang einer Entwicklung. Es folgen Dereks rhetorisch versierten Ausfälle gegen den jüdischen Freund der Mutter, der Überfall auf einen vietnamesischen Lebensmittelladen und schließlich der kaltblütige Mord an den schwarzen Autodieben. Als Derek sich später im Knast von den glatzköpfigen Mitgefangenen lossagt, wird er mit einer brutalen Vergewaltigung bestraft. Auch nach seiner Entlassung wird der Ausstieg aus der Szene zur lebensgefährlichen Angelegenheit.
Dies alles zeigt Tony Kaye mit der wuchtigen und plakativen Ästhetik des Werbefilmers und den dramatischen Überzeichnungen des Hollywood-Kinos. Allzu deutlich sind die Nebenfiguren Instrument des Erklärungsmodells und der politischen Ausgewogenheit: der hirnlos draufschlagende Skinhead-Kumpel, der dubiose rechte Hintermann als Drahtzieher, der integere schwarze Schuldirektor, die hilflos argumentierende "studierte" Schwester, der humorvoll sympathische schwarze Mitgefangene, der als einziger im Knast zu Derek hält - sie bewegen sich alle mehr oder weniger nur als Schachfiguren durch die Geschichte, ohne ein Eigenleben außerhalb der politisch bildenden Funktion zu übernehmen.
Regisseur Tony Kaye hat sich mittlerweile öffentlich von der Endfassung dieses Films distanziert. Monatelang hatte er sich mit der Produktionsfirma um den Schnitt geprügelt, mit dem ungewöhnlichen Ergebnis, daß letztere dem Hauptdarsteller Edward Norton ( Zwielicht ) den Umschnitt des Films übertragen hat. Welche möglicherweise brisanten Szenen dem Schnitt zum Opfer fielen, entzieht sich leider unserer Kenntnis. Der Vorwurf Kayes, Norton habe im Schnittraum seine eigene Rolle aufgewertet, ist jedoch anhand des filmischen Endproduktes durchaus nachvollziehbar. Mit eigens antrainierter Muskelpracht und tätowiertem Hakenkreuzemblem auf der Brust dominiert Norton fast jede Szene. Unbestritten ist seine schauspielerische Leistung in diesem Film brillant und in höchstem Maße oscarverdächtig. Ein paar Risse im Charisma der rechten Hauptfigur hätten dem Film allerdings gut getan, und genau die sind wahrscheinlich Nortons narzißtischer Schnittechnik zum Opfer gefallen. Wie dem auch sei - Norton, zur Zeit einer der vielversprechendsten Nachwuchsschauspieler Hollywoods, hat sich damit nur selbst geschadet. Denn den Oscar kann er sich nach dieser Affäre sicherlich abschminken.

Martin Schwickert