»DIE DUNKLE SEITE DES HERZENS«

Liebe ist schwer

Über ein gutes Gefühl in einem traurigen Land

Dies ist ein wundervolles Land!" sagt einer, der aus Kanada nach Argentinien kam. "Es hat alle Möglichkeiten für jede Zukunft. Es muß nur lernen, die Gegenwart zu überleben." So sehr Eliseo Subiela ( Letzte Bilder eines Schiffbruchs) einen Film über die Liebe gemacht hat, so kalt und traurig zeigt er sein Land. Da ist ihm kein Farbfilter gelb genug, um die Landschaft trostlos und das Land leer und schmutzig erscheinen zu lassen. Ana, die Hure, bewahrt ihre wenigen Bücher in Tonkrügen auf. Ein seltsames Versteck!, sagt ihr Freund, der Dichter. Das habe ich mir in der Zeit der Diktatur angewöhnt, sagt Ana.
Ana ist die Frau, die der Dichter gesucht hat. Gleich zu Beginn des Films erklärt er uns, daß er jeden Makel an einer Frau ertragen könne, unreine Haut, eine zu große Nase, schlechten Atem - aber in einem sei er unerbittlich: wenn sie nicht fliegen kann, dann vergiß es. Und weil wir hier in einem südamerikanischen Film sind, also einem, der die Bildsprache der Poesie ganz wörtlich zu nehmen imstande ist, sehen wir den Dichter mit Ana beim Liebemachen ganz leicht über dem Bett schweben - was beiden einen gehörigen Schrecken einjagt, weshalb Ana ihren Freund erst einmal gehörig beschimpft, damit er ihr nicht zu nahe kommt.
Subielas Film, der mit gut 5 Jahren Verspätung jetzt nach Deutschland kommt, präsentiert uns eine ganze Weile lang poetisch verbrämte Männer-Klischees, um dann in einer atemberaubenden Wendung die Kerle von der Bettkante zu stoßen; was ist, wenn die Frau feststellt, daß der Mann nicht fliegen kann?
Die dunkle Seite des Herzens , jenen Teil, den die große Liebe erst erleuchtet, ist ein ziemlich verrückter, ratloser, sentimentaler, kluger. tango- und lyrikgeschwängertes Exposé über die Liebe und den Tod. Gut die Hälfte des Filmes werden Gedichte zitiert, über die Liebe, den Tod, das Leben. Die Liebe kann man nicht kaufen, aber sie braucht Geld. Für einen chronisch bankrotten Lyriker ist das natürlich keine schöne Nachricht. Manchmal setzt sich daher "la muerta" zu ihm an den Tisch und erzählt, daß in der Bank um die Ecke ein Direktorenposten freigeworden wäre und ob er den nicht annehmen wolle... geh weg! sagt der Dichter, du bist ein Mietskasernen-Tod, ein Rentnerdasein-Sterben. Was Dichter halt so sagen, wenn sie jung, zornig und auf der Suche nach der Liebe sind.
Subiela nimmt das ganz ernst und führt es doch ins Absurde. Für ein Gedicht gibt's vielleicht an der Imbißbude um die Ecke ein gutes Steak (gibt es tatsächlich!), und so wie Straßenkinder an den Ampeln der Stadt für ein Trinkgeld die Autoscheiben putzen, steht der Dichter mitten auf der Straße und rezitiert zum Broterwerb Gedichte. Schöner kann man den eingangs zitierten Satz nicht darstellen: Man hat jede Zukunft, man muß nur die Gegenwart überleben.
Nicht alles an Subielas Film paßt. Manches Bild ist etwas platt geraten (etwa des Dichters Spielzeug-Eisenbahn, die immer im Kreis fährt), manche Szene ist ein wenig zu lang geraten, manche Ausblendung aus der Szene zerstört die Stimmung.
Dafür gibt es aber Bilder und Gedichte, die man so schnell nicht vergißt. Etwa wenn der Dichter Ana seine Liebe erklärt, indem er sich langsam entkleidet, schließlich nackt vor seiner Liebsten steht, sich mit der rechten Hand in die Brust greift und ihr sein Herz überreicht, auf einem Tablett. Und in einer Großaufnahme sehen wir das pladdrige, rote Ding, wie es munter vor sich hin zuckt. Und Ana nimmt es in die Hände und küßt es. Bewegender kann man die Liebe nicht lächerlich machen.

Victor Lachner