»HEART«

Blut in Tüten

Herzen in Aufruhr und unterm Messer

Das Herz ist das wichtigste menschliche Organ. Die abendländische Symbolik verleiht dem Herzen deshalb viele Fähigkeiten: es kann brechen, bluten oder rasen. In Heart von Charles McDougall erfüllen sich alle emotionalen Zustände in mindestens zwei Herzen.
Am Anfang blutet ein Herz. Es ist in einer Plastiktüte aufbewahrt, die von einer energisch ausschauenden Frau erst durch einen Zug, später am Mersey entlang und schließlich bis zu einem Friedhof getragen wird. Ihr eigenes Herz rast nicht mehr, ist in alle Ewigkeit gebrochen. Maria McCardle (Saskia Reeves) hat außer dem Beutelinhalt nichts zu verlieren. Als die Polizei ihr die Tüte abnimmt, erlischt jeglicher Kampfgeist. Im Verhör teilt sie stoisch das Geschehene mit.
Zunächst stellt sie vier Parteien vor: Gary und Tess, Alex, ein Mädchen und einen Jungen. Je länger Maria sie einführt, umso größer ist ihre Verwicklung in die Geschichte. Gary (Christopher Eccleston): sein Herz rast vor Eifersucht. Tess (Kate Hardie): seine Frau, geht fremd. Alex (Rhys Ifans): teilt passioniert das Bett mit Tess. Das klassische Dreieck ist konstituiert. Fehlt noch ein leidenschaft-auslösendes Moment - ein Herzanfall von Gary. Die Ärzte raten zu einer Transplantation.
Bleiben noch das Mädchen und der Junge. Beide reduziert Maria auf kurze Tätigkeiten: das Mädchen auf das Kokainschnupfen, den jungen Mann auf das Motorradfahren. Mittels einer spannenden Parallelmontage verbinden sich die Leben aller sechs Personen zu einem Moment - einem Verkehrsunfall. Danach zuckt ein Herz in der Hand eines Arztes. Eine Transplantation wird anberaumt. Gary erhält seine zweite Chance.
Das Beziehungsdrama erhöht das Tempo. Herzen werden von allen Beteiligten gebrochen - aktiv und passiv. Die Geschichte weitet sich zu einem Psycho-Thriller aus. Gut und böse sind Eigenschaften, die sich bei dem Film aus der Feder von Jimmy McGovern (Drehbuchautor der Serie Auf alle Fälle Fitz ) vermischen.
Detailverliebt und kühl ästhetisieren die Filmemacher die Katastrophe. Operationen, Schnitte mit dem Skalpell und ungeschönte Emotionen mutet man dem Zuschauer zu. Die Geschichte lebt vom beiläufigen Realismus. Er bildet das Herzblut des Films, dessen offensichtliche Fiktionalisierung das einzige Manko ist.
Regisseur McDougall dirigiert seine Darsteller grandios durch den düsteren Reigen. Saskia Reeves gibt ihrer Figur eine so nachvollziehbare Wandlung wie Meg Ryan sie wohl noch nie geboten hat. Auch Christopher Eccleston profiliert sich erneut als einer unter Britanniens Besten. Gute Schauspieler, wendungsreiches Drehbuch und klare Optik - was erwartet man mehr von einem Film.

Ulf Lippitz