»HARRY AUSSER SICH«

Die alten Ängste

Woody Allen ist wieder ziemlich böse

Nach Alle sagen: I love you kommt nun Harry außer sich , der, um das Niveau noch zu steigern, auch Woody läßt die Sau raus oder ebenso passend Alle sagen: I hate you heißen könnte. Denn Woody Allen ist diesmal als New Yorker Schriftsteller Harry Block überraschend vulgär, unnachgiebig egoistisch, exzentrisch fies und deshalb nicht sonderlich beliebt. Insbesondere seine unzähligen Liebschaften sind sauer, weil er gemeinsame Erfahrungen und intime Geheimnisse ungeniert offenkundig in seinen Romanen verbrät.
Was zunächst als deutlich trennbares Wechselspiel aus filmischen Realitäten und Traumsequenzen angelegt ist, gerät mit zunehmenden Schreibhemmungen des Schriftstellers aus den Fugen. Die beiden Ebenen beginnen ineinanderzulaufen, und da hier Realität und Fiktion nicht weit auseinander liegen, bleiben Komplikationen nicht lange aus.
Allens bekanntes Motiv des von Urängsten geplagten Künstlers wird dabei so ehrlich wie selten zuvor unverklärt seziert, und zwar ähnlich offen wie es der Dokumentarfilmerin Barbara Kopple in ihrem Woody Allen-Porträt Wild Man Blues gelingt. Bei Allen gesellen sich zu Harrys fiktiven Figuren noch Charaktere und Elemente aus seinem eigenen Repertoire. Eine Prostituierte führt als Geliebte Aphrodite Harrys Wege in die unterbewußt erwünschte Richtung, und in einer Höllensequenz könnten sich tänzerisch leicht bewegende, teuflische Geister die satirischen Noten auch als Chanson zum besten geben.
So ist Allens Neuer eine ausgezeichnete, konsequente Weiterentwicklung seines Gesamtwerks und zudem ein treffend scharfes Spiel mit realen und filmischen Zeitgeistern unserer Tage.

Dirk Steinkühler