HAPPY GO LUCKY Gemütsprobe Mike Leighs Hauptfigur ist ununterbochen gut drauf. Das ist so faszinierend wie nervig. Poppy (Sally Hawkins) lässt sich durch nichts und niemanden ihre gute Laune verderben. Sie ist ein Fels der Fröhlichkeit in der Brandung großstädtischer Coolness. Strahlend radelt sie durch das sommerliche London und wirkt wie eine Gestalt aus einer anderen Welt. Wahrscheinlich würde sie jeden Passanten gerne mit Handschlag begrüßen. Aber das sind dann doch zu viele. Pfeifend und immer ein wenig mit sich selbst im Gespräch, schwebt sie in einen Buchladen herein und lässt sich von der unterkühlten Aura des Verkäufers gar nicht erst irritieren. Als sie rauskommt, hat jemand ihr Fahrrad geklaut. "Und ich hatte noch nicht einmal Zeit, mich von ihm zu verabschieden" sagt sie und geht zu Fuß nach Hause. Ehrlich gesagt, zu Beginn von Mike Leighs Happy Go Lucky denkt man: Die Frau hat doch nicht alle Tassen im Schrank! Irgendwie grenzdebil wirkt dieses Wesen mit dem ewig seligen Lächeln. Aber Poppy gehört weder einer esoterischen Sekte an noch ist sie eine dieser übertherapierten Gestalten, die das Positive im Leben entdeckt haben und nun nichts anderes mehr sehen wollen. Nein, diese Frau ist einfach ein Herzchen, obwohl sie doch alle Bedingungen für eine grundunglückliche Filmfigur erfüllt: Mitte Dreißig. Unverheiratet. Und dann noch Lehrerin von Beruf. Aber man muss sie sehen in der Klasse. Wie sie die Kinder einspinnt mit ihrer Ausstrahlung, wie sie in sie hineinschaut und ihr oftmals trostloses Dasein zu wenden versucht. Sie weiß genau, was zu tun ist, wenn Verdacht auf Kindesmisshandlung besteht und geht beherzt und hochsensibel mit der Situation um. Wer ihr sonniges Gemüt mit Oberflächlichkeit verwechselt hat, wird hier eines Besseren belehrt. Alles an Poppy ist Gegenwart. Vergangenheit und Zukunft scheinen für sie nicht zu existieren. Auf die Frage, ob sie auch einmal Kinder haben will, sagt sie: "Nein danke, ich hatte gerade einen Döner." Dass da kein Mann in ihrem Leben ist, scheint ihr gar nicht aufzufallen. An den Wochenenden zieht sie durch das Londoner Nachtleben und kichert mit ihren Freundinnen bis weit in den Sonntagmorgen hinein. Aber es gibt auch Menschen, die sich an ihrem Frohsinn die Zähne ausbeißen. Ihr Fahrlehrer Scott (Eddie Marsan) etwa, der sie vergeblich in die Untiefen der Straßenverkehrsordnung einzuweisen versucht und den Ärger über seine Arbeit, seine Einsamkeit und den miserablen Zustand der Welt in sich hineinfrisst. Wütend spuckt er sein Schlagzeilenwissen aus und schimpft auf Ausländer, Schwule, Frauen und alles, was anders ist, als er selbst. Die Glücksfee und der rassistische Miesepeter im Fahrschulauto - eine Versuchsanordnung auf engstem Raum, in dem die grundverschiedenen Lebenskonzepte und Daseinsformen aufeinanderprallen. Auch hier behautet sich Poppy und lernt doch die Grenzen ihrer Gutmütigkeit kennen. Die wöchentlichen Fahrstunden sind das dramaturgische Kontinuum in einem Film, der sich das Leben seiner Protagonistin scheinbar mäandernd erschließt. Aber dahinter steckt ein Konzept, das weniger die Figuren auf der Leinwand als die Haltung der Zuschauer zu ihnen in Bewegung hält. Denn nicht nur für den Fahrlehrer ist die Auseinandersetzung mit einem unkaputtbar positiven Menschen eine grenzwertige Erfahrung. Auch das Publikum wird zwischen Wohlwollen, Faszination, Genervtheit und Ablehnung hin und her geworfen. Im Gewand eines Feel-Good-Movies stellt Happy Go Lucky uns mit seiner Heiligen Johanna der guten Laune auf die Gemütsprobe. Mag sein, dass Poppy mit ihrer glückbringenden Ignoranz gegenüber den Schlechtigkeiten der Welt eine vollkommen konstruierte Figur ist. Aber gerade ihr fehlender Realitätssinn ist es, der uns den Zynismus unserer Wirklichkeit vorführt. Martin Schwickert GB 2008 R&B: Mike Leigh K: Dick Pope D: Sally Hawkins, Alexis Zegerman, Eddie Marsan
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