Hannah Arendt

Banalitäten

Margarethe von Trotta verfilmt wieder eine redende Frau

Die politische Theoretikerin Hannah Arendt gehörte zu den wichtigsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Dem ideologischen Blockdenken ihrer Zeit hat sie sich gezielt entzogen und mit ihrer Totalitarismustheorie, die sie bereits 1951 in "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" formuliert hat, entscheidend zur Analyse der Strukturen nationalsozialistischer und auch stalinistischer Gewaltherrschaft beigetragen.

Nun hat sich Margarete von Trotta, die mit Rosa Luxemburg und Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen einschlägig Erfahrungen in der filmbiografischen Aufarbeitung historisch bedeutender Frauenfiguren gesammelt hat, an ein Porträt der Denkerin gewagt. Keine einfache Aufgabe, denn die Dramatik des Stoffes liegt hier nicht in einer spektakulären, wendungsreichen Biografie, sondern in Arendts intellektuellen Konfrontationsvermögen.

Glücklicherweise holt von Trotta nicht zu einem alles umfassenden Biopic aus, sondern konzentriert sich auf einen Schlüsselmoment in Arendts Leben und Wirken. Nachdem der israelische Geheimdienst Adolf Eichmann in Südamerika aufgespürt und nach Israel entführt hat, reist Hannah Arendt 1961 nach Jerusalem um für das Magazin "The New Yorker" über das Gerichtsverfahren zu berichten.

Ihr Blick auf den Mann, der im Dritten Reich die Deportation der Juden in die Vernichtungslager organisierte, ist von dem Willen zum Verstehen geprägt. Sie sieht in Eichmann nicht das Monster, sondern einen mittelmäßigen Bürokraten, der das eigene Denken durch Gehorsam und Karrierismus ersetzt hat. Ihre Beschreibung der "Banalität des Bösen", die sie aus den Prozessbeobachtungen ableitet, stößt auf heftige Ablehnung in Israel, aber auch unter amerikanischen Intellektuellen und im engsten Freundeskreis Hannah Arendts, die sogar vom Mossad bedroht wird.

Von Trotta zeigt Arendt als eine Frau, die ihrem scharfen Verstand mehr traut als dem erstarrten moralischen Koordinatensystem der Nachkriegsära. Im Zentrum stehen die Diskussionen, die Arendt mit ihren Freunden im stets verrauchten Wohnzimmer ihres New Yorker Apartments führt.

Ein Film über eine Denkerin wird zwangsläufig zu einer wortlastigen Angelegenheit, aber von Trotta und ihre Co-Autorin Pamela Katz schaffen es, die intellektuellen Diskurse in spannende, pointierte Dialoge zu übersetzen, in denen Barbara Sukowa den wachen, konfrontativen Geist ihrer Figur sehr überzeugend darstellt.

Weniger gelungen sind die menschelnden Aspekte, in denen Arendt als Privatperson allzu gutherzig und widerspruchsarm dargestellt wird. Hannah Arendt hat in ihrem Leben immer den Mut zur Kontroverse bewiesen - davon hätte sich die Filmemacherin ruhig ein paar Scheiben mehr abschneiden können.

Martin Schwickert

D/L/F 2012 R: Margarethe von Trotta B: Pam Katz, Margarethe von Trotta K: Caroline Champetier D: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch