Ein Sommer in Haifa

Amacord

Liebevolle Erinnerungen an die 60er Jahre in Israel

Ähnlich wie in Deutschland wurde in Israel bis in die 60er Jahre hinein das Thema Holocaust tabuisiert. Die, die überlebt hatten, waren psychisch zerstört und litten unter dem Schuldgefühl, überlebt zu haben, während Freuden und Verwandte von den Deutschen ermordet worden waren. Der Rest der israelischen Gesellschaft nahm die europäischen Flüchtlinge zwar gerne auf, war aber zu sehr mit Staatsaufbau und Optimismus beschäftigt, um sich um die Geschichte der Überlebenden zu kümmern. Erst der Eichmann-Prozess in Jerusalem und die Auschwitz-Prozesse in Deutschland ändern etwas daran.

In seinem Coming of Age-Film Ein Sommer in Haifa spielt diese Verdrängung im Hintergrund die Hauptrolle. Vordergründig geht es um den jungen Arik. Der arbeitet als Heiratsspion für den Ehevermittler Yankele Bride. Der erstaunt seine Kundschaft mit Sätzen wie "Ich besorge Ihnen nicht das, was Sie wünschen, sondern das, was Sie brauchen!" Yankele Bride hat sich auf schwierige Fälle spezialisiert: Dicke, glatzköpfige, traurige Menschen, die die Hoffnung längst aufgegeben haben, einen Partner zu finden. Die schöne Zwergin, die mit ihrer Familie auf der anderen Straßenseite ein Kino betreibt, ist eine von Yankeles ungewöhnlichen Kundinnen.

Ariks Aufgabe ist es, herauszufinden, ob die Leute sind, was sie vorgeben. Ist die zur Heiratsvermittlung angemeldete streng religiöse Schülerin wirklich so prüde - oder hat sie heimlich einen Freund? Außerdem muss Arik Kundschaft akquirieren: Wer sieht so aus, als ob er Liebe brauchen könnte?

Was wie eine freundliche Melange aus Fellini und Kusturica aussieht (mit hochkomischen Momenten), führt eine melancholische Unterströmung mit sich, die immer weiter nach oben drängt. Yankele und Ariks Vater, beide ursprünglich aus Rumänien, kennen sich aus "dem Lager". Manchmal flüstern sie gemeinsam, damit die Anderen nichts hören. Und dann ist da die bezaubernde Clara Epstein, die Yankeles Kunden manchmal Benimm-Unterricht erteilt und in die Yankele hoffnungslos verliebt ist. Clara lässt die sich von niemandem berühren und hat offensichtlich Schreckliches erlebt. Man redet nicht darüber.

Als Yankele den verstockten Bibliothekar als Kunden erhält, der vor allem eine Frau sucht, die kleiner ist als er und der sich völlig unpassend in Clara verguckt, setzt sich eine kleine Tragödie in Gang.

Avi Nesher hat seinen traurig witzigen Film als Rückblende inszeniert. Zu Beginn sitzt der erwachsene Arik beim Notar und erfährt, dass Yankele Bride ihm etwas hinterlassen hat. Es ist 2006, Israel befindet sich mal wieder im Krieg. Die Zeit ist über all das hinweggegangen. Dass Neshers Film sich nicht aufplustert und mehr sein will, als er ist, nämlich eine von sanfter Traurigkeit durchzogene Erinnerung, macht seinen ganzen Charme aus. Mit Liebe zum Ausstattungsdetail und hervorragenden Darstellern ist Ein Sommer in Haifa eine Perle des Independent-Kinos. Schade, dass den Film hier in der Stadt kein Kino zeigen will.

Thomas Friedrich

Once I Was Israel 2010 R & B: Avi Nesher (nach dem Roman von Amir Gutfreund) K: Michel Abramowicz D: Adir Miller, Maya Dagan, Tuval Shafir, Dror Keren