JEDE SEKUNDE ZÄHLT
Letzte Helden Kevin Costner und die Küstenwache rettendie Welt
Im Heldenregal des amerikanischen Kinos breitet sich eine gewisse Leere aus. Das Berufsbild des Geheimagenten hat sich seit dem Versagen des CIA am 11.9.2001 noch nicht vom Image-Verlust erholt. Zum Militär, das im Irak mehr Öl als Demokratie verteidigt, möchte nach Abu-Ghuraib auch niemand mehr aufsehen. Die Polizei ist traditionell in Korruptionsaffären verwickelt, und selbst die Ärzte sind nur bedingt als Vorbild geeignet, weil sie für ihre humanitäre Hilfe überhöhte Rechnungen ausstellen.
Als reine, selbstlose Helden bleiben eigentlich heute nur noch zwei Berufsgruppen übrig. Die Feuerwehrmänner (denen Oliver Stone gerade ein gezielt unpolitisches Denkmal gesetzt hat) und die US-Coast-Guards, deren lebensrettendes Wirken nun Andrew Davis erkundet.
Glaubt man den Betroffenen in Spike Lees Dokumentation When the Levees Broke, so waren es nach dem einhelligen Versagen von Präsident, Lokalpolitikern und Armee allein die Küstenwächter, die schnell und effektiv geholfen haben, nachdem Hurricane Katrina über New Orleans hinweg gefegt war. Auch wenn das Drehbuch schon lange vor Katrina in Arbeit war, profitiert der Film von dem zusätzlichen Popularitätseffekt.
Schon in seinem vorletzten Film Collateral Damage hatte Regisseur Andrew Davis seherische Fähigkeit bewiesen. Hier musste Arnold Schwarzenegger sich in seiner ersten Szene als Feuerwehrmann durch das flammende Inferno eines Hochhauses arbeiten. Eigentlich sollte der Film eine Woche nach dem 9/11 starten, wurde dann aber mit pietätvollem PR-Getöse um ein Jahr verschoben.
In Jede Sekunde zählt spielt Kevin Costner den in die Jahre kommenden Rettungsschwimmer. Aus dem Helikopter wirft sich der Mann in die eiskalte Beringsee, um Schiffbrüchige vor dem sicheren Tod zu bewahren. Als er bei einem nächtlichen Rettungsmanöver seinen langjähriger Partner verliert und beinahe selbst ums Leben kommt, wird der legendäre Coast Guard aus dem aktiven Dienst beurlaubt und zur Nachwuchsausbildung nach Louisiana beordert.
Knallhart militärisch geht es in dem Trainingslager der Küstenwächter zu. Die Ausbilder schreien herum und bringen die Azubis immer wieder an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Mit unkonventionellen Lehrmethoden versucht Ben das Beste aus seinen Schülern herauszuholen. Der aufmüpfige Jake Fischer (Ashton Kutcher) avanciert nach anfänglichen Subordinationskonflikten zum Lieblingsschüler des Meisters und darf sogar später dessen Rettungsrevier in Alaska übernehmen.
Andrew Davis malt ein Heldengemälde, das die Professionalität und die Selbstaufgabe der Rettungsschwimmer preist und in der Rahmenhandlung sogar ins Mystische transzendiert. Dabei zieht sich der Mittelteil, in dem die Ausbildung der Coast Guards beschrieben wird, schmerzhaft in die Länge, während die Action-Szenen auf hoher See wirklich spektakulär aussehen. Deutlich grenzt der Film seine selbstlosen Retter gegen die benachbarten Auszubildenden der US-Navy ab, die sich in einer Kneipenschlägerei als brutalisierte Platzhirsche entlarven.
Allerdings: Dass die US-Coast-Guard, die vor drei Jahren dem Ministerium für Homeland-Security angegliedert wurde, auch weniger ruhmreiche Aufgaben, wie etwa das Aufstöbern von Flüchtlingsbooten in der Karibik übernimmt, verschweigt der Film geflissentlich.
Martin Schwickert
The Guardian USA 2006 R: Andrew Davis B: Ron L. Brinkerhoff K: Stephen St. John D: Kevin Costner, Ashton Kutcher, Melissa Sagemiller
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