GUANTANAMERA


Säulenheilige

Ein kubanisches Roadmovie

Nach fünfzig Jahren haben die beiden Liebenden Yoyita und Cándido wieder zueinander gefunden. Ihre runzligen Hände greifen ineinander, er legt den Arm um ihre Schulter, beide schließen die Augen und erinnern sich an das letzte Treffen in ferner Jugendzeit. Yoyita wird die Augen nicht mehr öffnen, sie stirbt dahin in den Armen des gealterten Liebhabers. Was für ein Tod!
Viele Dinge sind in einem Land wie Kuba komplizierter als andernorts. Leichentransporte zum Beispiel. Jeder Tote hat das Recht, in seinem Heimatort beerdigt zu werden, die Überführung von Tantchen Yoyita quer über die Insel von Guantánamo nach Havanna erfordert höchstes logistisches Geschick. Aber zum Glück gibt es Adolfo, den für Bestattungsfragen in der Provinz zuständigen Funktionär der Partei. Adolfo (Carlos Cruz) hat einen Plan. Um die Benzinrationierungen unter den vom Leichentransport betroffenen Provinzen gerecht zu verteilen, soll der Sarg an den Provinzgrenzen umgeladen werden. Objektiv ist dieser Plan schwachsinnig, in der Logik des planwirtschaftlichen Systems gedacht aber grundgenial.
Die Reise beginnt. Mit von der Partie sind noch: Adolfos Frau Georgina, die in der Ehe mit dem schmalbrüstigen Funktionär zu verdorren droht, der alte Cándido, der seine verstorbene Liebste auf dem letzten Weg begleitet, und Chauffeur Tony, ein Spezialist für halblegale Dollargeschäfte. Die Tour wird zum Hindernislauf durch das sozialistische Kuba, das Land mit der doppelten Buchführung, in dem man für Pesos fast nichts und für Dollars doch einiges bekommt. In einer staatlichen Bar gibt es keine kalten Getränke, weil das Eis noch nicht geliefert ist. Und ohne Eis kein Ausschank, das ist Vorschrift. An den staatlich geordneten Trampstellen stürmen Leute einen Lastwagen Richtung Havanna. Das Benzin ist knapp, jedes Auto beladen wie ein Seelenverkäufer.
On the road mit ihrem LKW sind auch Mariano und Ramón. Mariano (Pedro Fernández aus Erdbeer und Schokolade) sucht auf der Strecke Liebhaberinnen in großer Anzahl auf, so kommt auch dieser Transport nur zögerlich voran. Die Wege kreuzen sich immer wieder mit der Leichenüberführung. Als Mariano in Georgina (Mirtha Ibarra) seine angehimmelte ehemalige Professorin erkennt, ist es um sein schwankendes Herz geschehen.
Guantanamera ist vieles in einem: Liebesgeschichte, gemächliches Roadmovie und ein Abgesang auf den maroden kubanischen Staat - beißend ironisch und liebevoll zugleich. Was oft übersehen wird: Der 68jährige Alea gehörte zu den einflußreichsten Regisseuren der Karibikinsel, und er hat die kubanische Revolution mit seinen Filmen von Anbeginn solidarisch und kritisch begleitet; Guantanamera wurde sein letzter Film, er starb im April diesen Jahres.
Am Schluß auf dem Friedhof: Adolfo erklimmt mit der Leiter einen Sockel und hält eine markige Grabesrede. Regen setzt ein, das Publikum flüchtet, die Leiter kippt um. Der Funktionär wird nicht gestürzt. Er bleibt allein dort oben im Regen stehen und kommt vom Sockel nicht mehr herunter.

Martin Schwickert