DER GUTE WILL HUNTING
Jagen und Wollen
Ein Genie auf dem richtigen Weg Man hätte den Original-Titel auch noch richtiger falsch übersetzen dürfen als "Auf der Jagd nach dem guten Willen". Und hätte bedeutende Tiefe, Komödienton und Zitier-Rat mit einem Streich erschlagen. Ganz so wie Gus Van Sant versucht, Außenseiter-Porträt und Mainstream-Versöhnung, dreckige Witze und die Liebe zu Leberflecken unter einen Tisch zu trinken. Mit einem Ergebnis, das die besten Stellen vom Club der toten Dichter mit den schlechteren von My private Idaho verbindet. Und umgekehrt. Schließlich geht es ja auch um kombinatorische Mathematik, scheinbar.
Will Hunting arbeitet in Harvard. Tags putzt er die Flure im mathematischen Institut, nachts zieht der schöne Junge mit den Kumpels durch die Vorstadt, säuft, prügelt sich ... und wenn er auch noch herumhurte, hätte Gus Van Sant bestimmt keinen Dreh-Etat von Disney gekriegt. Oder Danny Elfman als Filmkomponisten. Und Matt Damon (Jung-Star und Debüt-Autor) hätte es dann schon aus der Start-Kurve zum bürgerlichen Entwicklungs-Roman getragen. In genialischen Überblendungen, die sonst eher in Beethoven-Filmen vorkommen, löst Will nämlich schwierige Gleichungen, die ein Professor zum Studententriezen an die Tafel gemalt hat. Das Wunderkind wird entdeckt, die Katastrophe beginnt.
Will, wegen fortgesetzter zielloser jugendlicher Delinquenz im Knast, wird vom Mathe-Prof freigekauft. Er soll ihm Rechnen helfen - und muß sich einer Therapie unterziehen. Nachdem das Genie mit komplizierten Meta-Scherzen ("ich benehme mich freiwillig so, wie es deine Verhaltens-Theorie vorsieht, weshalb sie falsch sein muß") mehrere Seelen-Klempner verschlissen hat, tritt Robin Williams auf. Der Psychologe mit eigenen Komplexen (miese Karriere, tote Frau) baut eine persönliche Beziehung zu dem Widerspenstigen auf - und alle heilen einander am Ende reihum. Das liegt an dem Buch von Matt Damon und Ben Affleck (Wills Freund).
Aus dem stammen auch die vielen, langen Mono- und Dialoge, die fast alle Schauspieler zu Oscar-Nominierungen führten. Vom Regisseur dagegen stammt der Trick, jeden Anflug von Sozialromantik mit künstlichem Realismus zu unterlaufen (der Underdog kriegt ein Elite-Mädel - und die erzählt gute Oral-Sex-Witze) - und jeden intellektuellen Spaß mit echtem Leben zu überziehen: soviele Sommersprossen auf Frauennacken sah man nie, und fast hätte man die Zigaretten-Brandnarbe auf Wills Hals übersehen.
Will hatte nämlich eine mißhandelte Kindheit. Wie sein Therapeut. Und man hört Van Sant förmlich Schmunzeln, wenn er kurze Rückblenden auf drohende Väter so einsetzt, daß ihre Zuordnung zu den Handelnden unklar bleibt. Oder gleichgeschlechtliche Andeutungen macht (in Gus' Filmen ist immer mindestens einer richtig, einer unwissentlich, und einer nur angeblich schwul), um dann doch ein "normales" happy ending anzusteuern. Der Professor entläßt seine Entdeckung ins Leben, der Doktor erwacht zu neuen Abenteuern, das Wunderkind fährt seinen Weg, in einem schrottreifen Auto, in Richtung Minnie Driver.
Die ist das stärkste Stück im Film. Daß Will im Zustand der Unreife dieses Paket aus Kopf und Körper zurückweist, scheinbar herrisch, tatsächlich voller Angst, ist der einzige ungebrochen stimmige Moment des Films. Weshalb es um so genauer stimmt, daß er am Ende, von allen zum Jagen getragen, von den alten Freunden aus der Vorstadt und den neuen aus dem Campus dazu verführt, das zu Wollen was er kann, dem amerikanischen Traum folgt. Nämlich zu können was man will. Aber in Licht und Kamera und Requisite so leicht angefälscht, als kriegten wir hier den Kuß unseres Lebens - mit einer Zunge in beiden Backen. Bzw. andersherum.
WING
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