THE GIFT - DIE DUNKLE GABE

Der siebte Sinn

Cate Blanchett hat Visionen

Kerze, Holztisch, Karten - ganz ohne esoterischen Schnickschnack blickt die Hellseherin Annie (Cate Blanchett) in Vergangenheit und Zukunft der Menschen und bessert damit als alleinerziehende Mutter von drei Söhnen ihre Witwenrente auf. In dem kleinen Südstaatennest Brixton ist Annie eher Sozialarbeiterin als Spiri-Tante, denn die Ratsuchenden, die zu ihr kommen, können sich keine teuren Therapien leisten. Für den psychisch desolaten Automechaniker Buddy (Giovanni Ribisi) ist Annie die einzige, die sich in seiner kaputten Seelenlandschaft auskennt. Die haltlose Valerie (Hilary Swank) lässt sich die Karten legen, weil sie keinen Weg aus der Ehe mit dem gewalttätigen Donnie (Keanu Reeves) findet.

Das Sich-Hinein-Versetzen in die Menschen gehört genauso zu Annies Berufsbild wie der Kontakt zu jenseitigen Kräften. Als Jessica (Katie Holmes), eine leichtlebige Tochter aus gutem Hause und Verlobte des schmucken Schuldirektors (Greg Kinnear), plötzlich spurlos verschwindet, bittet die Polizei widerwillig Annie um Hilfe. Ihre Albtraumvisionen führen die Ermittler zu einem Teich, aus dem die Leiche Jessicas geborgen wird. Alle Indizien sprechen dafür, dass der hitzköpfige Widerling Donnie, der die Wahrsagerin schon oft als Hexe beschimpft und bedroht hat, für die Tat verantwortlich ist. Aber auch nach seiner Verurteilung hören Annies Träume nicht auf. Sie ist überzeugt, dass der falsche Mann im Gefängnis sitzt, und ihre übernatürlichen Fähigkeiten treiben sie immer näher an den eigentlichen Täter heran.

Mit The Gift spaziert Regisseur Sam Raimi ( Ein einfacher Plan ) auf dem Pfad, den The Sixth Sense im Horrorgenre geebnet hat. Raimi verwandelt die Südstaatenszenerie, in der das spanische Moos wie dicke Spinnweben von den Bäumen herunterhängt, in einen Grenzort zwischen Realität und Jenseits. The Gift ist ein Eso-Thriller mit Bodenhaftung. Der spirituelle Hokuspokus wird durch eine gute Portion sozialen Realismus geerdet. Die Mischung ist interessant, wenn auch nicht immer gelungen, und so mancher Gewittersturm muss hier den löchrigen Plot kaschieren.

Ohne Cate Blanchett (Elisabeth) in der Hauptrolle würde das jedoch in sich zusammenfallen wie ein kaltgewordenes Soufflé. Perfekt tariert sie ihre Figur zwischen ätherischer Zerbrechlichkeit und handfester Courage aus. Ihre schauspielerische Integrität fesselt die Zuschauerblicke und zieht auch kühle Rationalisten in die parapsychologischen Halbwelten hinein.

Martin Schwickert

USA 2000 R: Sam Raimi B: Billy Bob Thornton, Tom Epperson K: Jamie Anderson D: Cate Blanchett, Hilary Swank, Keanu Reeves.