GERDAS SCHWEIGEN Schmerzhaftes Erinnern Über das Schicksal einer Jüdin, deren Kind im KZ ermordet wurde Du hast also wieder ein neues Kind." Als der Junge den Satz ausgesprochen hat, herrscht entsetztes Schweigen am Tisch. Tante Gerda aus Amerika ist zu Besuch gekommen nach Ostberlin, und obwohl die Mutter dem Sohn eingeschärft hat, nicht über das Kind zu sprechen, das die Tante im Konzentrationslager verloren hat, ist ihm dieser verräterische Satz entwischt. Die Erinnerung an die Wohnzimmerszene aus den späten Sechziger Jahren nimmt der RBB-Journalist Knut Elstermann zum Ausgangspunkt für eine persönliche Recherche, die den schicksalhaften Lebensweg der Tante zu ergründen sucht. Gerdas Schweigen heißt Elstermanns Buch, nach dem nun Britta Wauer einen Dokumentarfilm gedreht hat. Genau genommen ist Gerda gar keine Tante. Als Kind wohnte sie in der Wohnung nebenan in einem Berliner Mietshaus. Und weil sie eigentlich immer da war, wurde das jüdische Mädchen mit in die Familie aufgenommen. Als 1941 die systematische Deportation der Berliner Juden nach Auschwitz begann, gelang Gerda die Flucht. Fortan lebte die junge Frau als Illegale in der Stadt, fand Arbeit bei einem ungarischen Kürschner, in den sie sich verliebte. Als die Häscher der Gestapo dann doch irgendwann vor der Tür standen und Gerda nach Auschwitz deportiert wird, ist sie bereits schwanger. Vom Leben in der Illegalität, von der Deportation, von der Tortour im Lager - von all dem hat Gerda ihrem Mann, ihrem Sohn, ihren Freundinnen erzählt. Aber von dem Kind, das sie im KZ zur Welt gebracht hat und das in ihren Armen verhungerte, weil SS-Arzt Mengele ihr die Brüste abbinden ließ, hat sie ein Leben lang geschwiegen. Mit dem Besuch des Neffen aus Berlin beginnt für Gerda, die nach dem Krieg in New York ein neues Leben aufgebaut hat, ein schmerzhafter Prozess des Erinnerns, dem sie sich bisher aus Trauer und Scham verweigerte. Davon berichtet Knut Elstermann in seinem Buch sehr persönlich, einfühlsam und unprätentiös. Der Film versucht, diese Spurensuche nachzustellen, was jedoch nicht gelingt und nicht gelingen kann. Das vorsichtige Herantasten von Neffe und Tante an die Vergangenheit, wie es im Buch beschrieben wird, entzieht sich dem rekonstruktiven Bemühen. Der Film berichtet von der Erinnerung, das Buch vom Prozess des Erinnerns. Wauers Dokumentation ist dann spannend, wenn Gerda direkt zur Kamera spricht, wenn sie erzählt, wie sehr die schmerzhaften Erinnerungen ihr ganzes Leben geprägt und auch die Beziehung zu ihrem Sohn vergiftet hat, der ihr das Schweigen nicht vergeben will. Gerdas Erzählungen sind so eindrücklich, dass sie die filmemacherischen Schwächen der Dokumentation, die vergeblichen Versuche das Sujet mit klischeebebilderten Spaziergängen durch Manhattan aufzulockern und die darunter liegende, fürchterliche Musiksoße fast vergessen lassen. Martin Schwickert D 2008 R&B: Britta Wauer K: Kaspar Köpke, Bob Hanna
|