GANZ UND GAR

Provinzliebe

Ein bittersüßer brandenburger Sommer

Dass sich hier alle mit Anfang Zwanzig permanent ums Heiraten Gedanken machen, daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Schließlich sind wir in der Provinz. Da gibt es keine Clubszene, in der man extracool abhängen kann. Nur eine Disko, ein Freibad und ein altes Sofa neben dem Schiffskanal zum Six-Pack-Trinken. Wenig los hier, aber trotzdem keine Tristesse, wie sie sonst so gerne gerade in die ostdeutsche Provinz hineingemalt wird. "Ich bin 24. Mein Leben ist geil. Die Mädels stehen auf mich. Ich bin niemanden verpflichtet", sagt Torge. Torge (David Rott) ist Zimmermann und steht mit beiden Beinen im Leben. Noch. Denn als er vom Gerüst fällt, muss das rechte unterhalb des Knies amputiert werden.

Nach dem Unfall verwandelt sich der Sunnyboy und Mädchenschwarm in einen Zyniker, der nach und nach seine besten Freunde vergrault. Um seinen Kumpel herauszufordern, wettet Torge, dass er dessen Ex-Freundin ein Heiratsversprechen abluchsen kann. Lisa (Mira Bartuschek) hatte damals die Flucht ergriffen, als Micha (Hanno Koffler) den "nächsten Schritt" gehen und mit ihr zusammen ziehen wollte. Aus der Männerwette wird für Torge bald schon bittersüßer Ernst, als er anfängt, sich in Lisa zu verlieben.

Über die Handlung hat man sich in Ganz und Gar schnell den Überblick verschafft. Welches Töpfchen zu welchem Deckelchen gehört, ist spätestens nach einer halben Stunde klar. Aber Filme wie diese leben weniger vom überraschenden Plot als von den Zutaten, mit denen die Geschichte garniert wird. Ohne die Bleigewichte anzuschnallen, gelingt es Marco Kreuzpainters Spielfilmdebüt, das Grenzgebiet zwischen Jugend und Erwachsenendasein abzutasten. In der Provinz stehen Etablierungssehnsüchte und Bindungsängste dichter nebeneinander als im studentischen Großstadtdschungel.

Die Stärke von Ganz und Gar ist, dass er die Lebensentwürfe nebeneinander bestehen lässt. Holger (Oliver Boysen), der in ein Bäderland-Geschäft einheiratet, entwickelt sich dadurch nicht automatisch zum Spießer. Und auch Torges Figur wird nicht an das Frauenaufreißer-Klischee verraten. Der sorgfältige Umgang mit den Charakteren bewahrt Kreuzpainter vor den Fallstricken des deutschen Mainstreamkinos. Ihm ist ein sympathischer, sommerleichter Jugendliebesfilm gelungen, der Unterhaltung nicht mit Publikumsverblödung verwechselt. Die Kamera von Daniel Gottschalk entwickelt ein gutes Gespür für den spröden Charme brandenburgischer Sommerlandschaften, und das junge Schauspielerensemble bringt die Figuren zum Leuchten. Das gilt vor allem für David Rott, der mit seinem bodenständigen Charme das Publikum um den Finger wickelt und für die Rolle in Saarbrücken mit dem "Max Ophüls Preis" ausgezeichnet wurde.

Martin Schwickert

D 2003 R: Marco Kreuzpainter B: Maggie Peren K: Daniel Gottschalk D: David Rott, Mira Bartuschek, Hanno Koffler