GABRIELLE

Peitschenhiebe
Ein Ehepaar nimmt sich auseinander

In der feinen Gesellschaft der Pariser Belle Epoque leben Jean (Pascal Greggory) und Gabrielle (Isabelle Huppert) eine Ehe, die nur aus Worten und Konventionen besteht. Jean hat es mit seinen Geschäften zu großem Reichtum gebracht. Während er den Weg vom Bahnhof zur Wohnung zurücklegt, erzählt er mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein aus seinem Leben. "Ich kenne meine Frau. Ihre Gedanken, sogar ihre Träume", behauptet er. Zuhause findet Jean einen Brief vor, in dem sich Gabrielle für immer von ihm verabschiedet, um mit dem Chefredakteur seiner Zeitung ein neues Leben anzufangen.
Schon wenige Stunden später kehrt Gabrielle zurück, weil sie den Sprung ins Ungewisse nicht geschafft hat. Es beginnt eine zermürbende Auseinandersetzung, die in Gegenwart der schweigenden Hausdienerschaft ausgetragen wird. Im Verlust seine Liebe erkennend, überhäuft Jean seine Frau mit Vorwürfen, flehenden Liebesgeständnissen und gewalttätigen Ausfällen. Gabrielle schweigt lange, aber die wenigen Sätze, die sie sagt, sind wie Peitschenhiebe für Jeans gekränkte Seele. "Hätte ich gewusst, dass du mich liebst, wäre ich nicht zurückgekommen", sagt sie.
Patrice Chéreau gehört gewiss nicht zu den gefälligen französischen Regisseuren. Seine Filme sind immer ein wenig sperrig, streben nicht nach dem Konsens mit dem Zuschauer, sondern suchen mit bohrender Kraft den Konflikt. So entwickelt sich Gabrielle schnell zu einem Anti-Kostümfilm, der unter den schillernden Gewändern der Belle Epoque die kaputten Seelen seiner Figuren frei legt. Die Intensität, mit der sich die beiden beharken, kämpft gegen den Widerwillen des Zuschauers bei diesem ehelichen Seelen-Striptease Zeuge zu sein.
Chéreau, der hier die Kurzgeschichte Die Rückkehr von Joseph Conrad adaptiert hat, besteht auf der Gegenwärtigkeit seines Sujets. Unbestritten hat der Film in seinem radikalen Umgang mit den Gewohnheiten der Liebe erleuchtende Momente.

Martin Schwickert
F 2005 R: Patrice Chéreau B: Patrice Chéreau, Anne-Louise Trividic nach der Erzählung "Die Rückkehr" von Joseph Conrad K: Eric Gautier D: Isabelle Huppert, Pascale Greggory. Bundesstart: 12.1.06