FUNNY GAMES


Sadismus und Wurstbrot

Mit etwas Verspätung doch noch im Kino: Eine Lehrstunde über Kino und Gewalt

Die Arten der Gewaltdarstellung im Kino sind unterschiedlich. Da gibt es zunächst die konventionelle Hollywood-Verpackung: Bösewichte metzeln, was das Zeug hält, und nachdem alle violent voyoristischen Bedürfnisse des Publikums kassengerecht befriedigt wurden, kommt der Gute und bringt den Bösen um, und alles ist wieder ins moralischen Lot gebracht. Als Kontrapunkt gegen die Scheinheiligkeit des Hollywood-Kinos gilt die Tarantino-Version: Ganz postmodern und in inflationärer Weise werden hier Blut und Schädelinnereien verspritzt. Der Einsatz von Gewalt erfolgt nicht nach moralischen, sondern allein nach choreographischen Gesichtspunkten. Und schließlich gibt es die Filme des Österreichers Michael Hanecke (Bennys Video), die das gewalttätige Medium Film mit seinen eigenen Waffen zu schlagen suchen.
Am Anfang ist in Funny Games alles wie gehabt. Ein klassischer Thriller-Plot: Vater Georg (Ulrich Mühe), Mutter Anna (Susanne Lothar), Sohn Schorschi und Hund Rolfi verbringen die Ferien in ihrer Seevilla. Auf der Herfahrt erraten Vati und Mutti standesgemäß Opernmelodien, hinten im Kofferrraum befinden sich ebenfalls standesgemäß die Golfschläger, dahinter auf dem Anhänger das eigene Segelboot. Das Wassergrundstück ist großzügig geschnitten, romantisch einsam gelegen und gut gesichert. Soviel Großbürgeridylle ruft nach einer Bedrohung. Auch hier die genreüblichen Andeutungen. Ein Filetstück, das in Nahaufnahme zerteilt wird. Ein Tor, das elektronisch gesteuert langsam ins Schloß fällt, als wolle es nie wieder geöffnet werden. Ein Messer, das in Großaufnahme von den Protagonisten unbeachtet unter den Sitz rutscht. Da stehen zwei fremde junge Männer (Arno Frisch und Frank Giering) in vertrauenserweckender weißer Golfermontour vor der Tür. Freunde der Nachbarn, sagen sie. Ein paar Eier wollen sie ausleihen. Die gehen zu Bruch und wenig später ist auch Georgs Schienbein mit einem Golfschläger zertrümmert. Die beiden jugendlichen Sadisten haben die Kleinfamilie schnell in ihrer Gewalt, traktieren sie mit ihren Funny Games. Die Wette gilt: innerhalb von zwölf Stunden sei die ganze Familie mausetot.
Funny Games spielt mit der Erwartungshaltung des horror-gewohnten Publikums. Mit angespannter Bauchmuskulatur folgt man der Bedrohung, und im Moment der Tat schwenkt die Kamera weg. Während der eine im Wohnzimmer vor den Augen der Eltern den Sohn erschießt, zeigt die Kamera den anderen in der Küche wie er sich summend ein Wurstbrot schmiert. Statt der gewalttätigen Aktion zeigt Michael Hanecke die Reaktion darauf. Aus starrer zurückgezogener Position blickt die Kamera in einer mehrminütigen Einstellung auf die vor Entsetzen gelähmten Eltern. Man erkennt kaum etwas im Halbdunkel des Raumes und trotzdem ist dies eine der eindringlichsten Szenen, die ich je im Kino gesehen habe.
Funny Games macht die Zuschauer zu Komplizen der Täter. Immer wieder wendet sich der "Spielleiter" mit direktem Blick in die Kamera an das Publikum oder verweigert den Opfern die Verkürzung der Qual mit den Worten "Wir sind noch nicht auf Spielfilmlänge". Hoffnung auf Rettung wird geweckt, aber als Anna einen der bösen Jungs erschießt, sucht der andere die Fernbedienung, spult den Film zurück und gibt der Szene einen anderen Verlauf. Nein, Michael Hannecke kennt keine Gnade, kein Lichtblick, kein erlösendes Moment gönnt er dem gebeutelten Publikum. Für immer soll es nach dieser Roßkur dem visuellen Gewaltkonsum abschwören - die erzieherische Absicht ist unübersehbar. Hier wird nicht mit dem pädagogischen Zeigefinger gearbeitet, sondern mit dem Holzhammer zugeschlagen. Auch wenn man mit dem didaktischen Anliegen nicht übereinstimmt, bleibt Funny Games ein Filmerlebnis der besonderen Art. Selten wird einem im Kino die Macht des Mediums Film so schmerzhaft bewußt gemacht, und selbst bei hartgesottenen Filmkritikern machte sich nach der Vorstellung eine gewisse Appetitlosigkeit bemerkbar.

Martin Schwickert