FÜHRER EX

Knackis mit Zack

Wo kamen nach der Wende die kleinen Nazis her?

Auch in der DDR, die ihr staatliches Selbstverständnis gebetsmühlenartig auf dem dünnen Boden antifaschistischer Traditionen gründete, gab es eine neonazistische Jugendbewegung. Die Kaderschulen der Rechten - das waren oft die Knäste, in die aufmüpfige Jugendliche und gescheiterte Republikflüchtlinge verbracht wurden. Etwa 80 Prozent der Ostnazis sollen in den DDR-Strafanstalten zu ihrerGesinnung gekommen sein.
Ingo Hasselbach war einer von ihnen. Nach der Wende avancierte er zu einer der Leitfiguren der rechten Szene in Ostberlin. Sein spektakulärer Ausstieg und die Aussagen beim Bundeskriminalamt machten ihn einerseits zum gefährdeten "Verräter", andererseits zu einem Medienstar. Zwei Bücher hat Hasselbach inzwischen über die Zeit vor und nach dem Ausstieg veröffentlicht. Zusammen mit dem Dokumentarfilmer Winfried Bonengel, der sich mit Filmen wie Beruf:Neonazi schon lange Jahre mit dem neuen deutschen Rechtsextremismus befasste, hat Hasselbach nun seine eigenen Lebenserfahrungen als Drehbuch fiktionalisiert.
Führer Ex nennt sich ihr Film, Heiko und Tommy sind die beiden jugendlichen Helden. In der Hauptstadt der DDR der 80er Jahre ist für die beiden der Hund begraben. Null Bock auf sozialistischen Alltag. Ihre Protestformen sind eher harmlos. Biertrinken. Pogotanzen. Aufs "Neue Deutschland" pinkeln. Von Australien träumen. Nachts im Suff zündet Tommy ein Hammer & Zirkel-Banner an und wandert dafür in den Knast. Als er wieder rauskommt, erkennt Heiko seinen Freund kaum wieder: Kurz geschorene Haare, Stacheldraht-Tattoo am Hals, SS-Runen am Unterarm und ein paar krude rechte Parolen im Hinterkopf. "Son Quatsch" sagt Heiko, ohne jedoch die Freundschaft zu hinterfragen.
Stattdessen werden Fluchtpläne geschmiedet. Dass hinter dem ersten Grenzzaun noch ein zweiter wartet, konnte man nicht ahnen. Wegen versuchter Republikflucht landen die beiden in der Strafanstalt Torgau. Tommy schließt sich gleich wieder den rechten Spießgesellen um den Altnazi Kaltenbach (Harry Baer) an, während Heiko sich alleine durch den gewalttätigen Knastalltag zu schlagen versucht. Nach einer brutalen Vergewaltigung und mehrwöchiger Isolationshaft begibt sich Heiko schließlich auch in den Schutz der Nazigruppe. Wenig später gelingt Tommy die Flucht aus dem Knast in den Westen. Aber die Geschichte holt die beiden Freunde bald wieder ein. Nach dem Fall der Mauer treffen sie sich wieder. Mittlerweile hat sich Heiko zum knallharten Neonazi entwickelt, der flammende Reden vor den Kameraden in der Berliner Weitlingstraße hält, türkische Imbissbuden in Brand setzt und auch vor Mord- und Totschlag nicht zurückschreckt ...
Zehn Jahre nach der Wende hat das Thema nichts an Aktualität verloren, die rechte Szene, die damals ihren Aufschwung bekam, ist heute immer noch aktiv - nicht nur in Ostdeutschland. Führer Ex ist also zuallererst ein notwendiger Film. Aber er scheitert, und er scheitert nicht, wie man vermuten könnte, an didaktischem Oberlehrer-Gehabe, sondern am eigenen dramatischen Gestaltungswillen. Zu sehr ist Winfried Bonengel bemüht, das jugendliche Zielgruppenpublikum mit wendungsreicher Plotstruktur und dramatischen Schauwerten bei der Stange zu halten. Mit Gewalt rückt er das Freundschaftsmotiv immer wieder in den Mittelpunkt und vernachlässigt dabei die psychologische Innenstruktur der Einzelfiguren.
Zwar sieht man noch wie der harmlose Heiko von der Isolationshaft gebrochen dem Altnazi Kaltenbach die Hand reicht, aber dann flüchtet sich der Film in den Zeitsprung und zeigt Heiko nach der Wende als uniformierten, Parolen speienden Neonazi. Dabei liegt in der Zeit dazwischen der interessanteste Teil der Geschichte begraben. Wie genau wird aus einem gebrochenem Jugendlichen ein überzeugter rechter Gesinnungstäter? Welche psychologischen Mechanismen von Geborgenheit und Unterordnung setzen hier ein? Die Fragen liegen auf der Hand, aber Bonengel weicht ihnen aus. Dabei müsste gerade sein Co-Autor Ingo Hasselbach die Antwort darauf wissen ...

Martin Schwickert

D 2002 R: Winfried Bonengel B: Ingo Hasselbach, Winfried Bonengel, Douglas Graham K: Frank Barbian D: Christian Blümel, Aaron Hildebrand