FROM HELL Jack in the Box Johnny Depp jagt den Jahrhundert-Schlitzer Kinski war es mal, Anthony Perkins war es auch, neben vielen anderen; und Micheal Caine kriegte ihn mal, beinahe. Jack the Ripper ist der vermutlich meistverfolgte Mörder der Filmgeschichte. Und bis heute ist der Fall nicht gelöst: wer schlachtete im Herbst 1888 fünf Strassen-Dirnen in London ab, schnitt ihnen Geschlechtsorgane und Eingeweide heraus, und hinterlies wirre, böse Botschaften an Hauswänden und in der gerade entstehenden Boulevard-Presse? Man weiss es nicht. Und der schwächste Teil am Ripper-Rip-Of der Regie-Zwillings-Brüder Allan und Albert Hughes ist die Entlarvung. Zumal sie der Standard-Theorie folgt: der Leibarzt der Königin Viktoria metzelt sich den Strassenstrich entlang, um die Eskapaden des syphillitischen Thronerben zu vertuschen. Es könnte so gewesen sein. Viel spannender ist der Versuch, einen Gründungs-Mythos der Moderne aus der Gosse zu schaffen. Nach einer penibel recherchierten Graphic Novel von Alan Moore schufen die Hughes' fast nur mit britischen Schauspielern und an tschechischen Drehorten (die sind billiger als Hollywood und sehen besser aus) ihr defätistisch dunkles Sittenbild. Es gibt Grammophone und Absinth, Oberklassen-Strenge und Unterklassen-Elend, einen allgemeinen Hang zu Absonderlichkeiten und einen über Leichen gehenden Pragmatismus aller Stände. Und es ist das grösste Versäumnis des Films, völlig zu unterschlagen, das Jekyll & Hyde zur selben Zeit spielen. Und Dracula. Dafür kriegt immerhin der Elefanten-Mensch einen bei David Lynch geklauten Auftritt. Wir sind in Zentrum von einem halben Dutzend unaufgeklärter Neuzeit-Mythen. Und in der ersten Hälfte sehen wir auch, wie sich Comic und Kino zu mitreissender Bildsprache vereinigen: ein Messer blitzt im Dunkeln, eine Gabel piekt ins Beuf Tartar. Während der Detektiv, Johnny Depp, mit dem hinreissenden Robby Coltrane als Watson, Erkenntnisse zwischen Opium-Rausch und Akten-Studium sucht. Die zweite Hälfte rafft dann nur noch die Fäden zusammen. Der Ripper wird enttarnt, die gute Hure entkommt, der anämische Aufklärer opfert sich, jede Zweideutigkeit versinkt im Kitsch. Und man freut sich über die Lücken im Buch. Zusammen mit der optischen Opulenz. From Hell sieht super aus - und tut nur so, als sei der Fall abgeschlossen. Wenn der Depp in der Badewanne Drogen nimmt, möchte man Sigmund Freud daneben haben, der das Unbewusste just entdeckte, als es den Ritual-Mord als Publicity-Gag erfand. Und wenn der von verdrehter Grausamkeit überforderte Pathologe sich ins Hemd kotzt, möchte man zurück zu den klaren Verhältnissen, in die sich die schönste Nutte Whitechapels am Ende mit ihrem Adoptivkind flüchtet. Das ist von den historischen Quellen nicht gedeckt. Das ist bloß Kino. WING USA 2001 R: The Hughes Bros. B: Terry Hayes / Rafael Yglesias, M: Trevor Jones, D: Johnny Depp, Robbie Coltrane, Heather Graham, Ian Holm, Ian Richardson
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