DIE FRAU AUF DER BRÜCKE
Targets
Vanessa Paradis arbeitet als ZielscheibeWillst Du es auch? fragt sie unvermittelt an einem verlassenen Bahnsteig in flirrender Mittagshitze. Er stimmt mit ernster Miene zu. Beide verschwinden in einem dunklen Schuppen neben den Gleisen. Wenig später zischen die Messer schon an ihr vorbei und bohren sich knapp neben dem Körper ins Holz. Sie räkelt sich lustvoll zwischen den vibrierenden Klingen, während draußen ein Zug mit ohrenbetäubenden Lärm vorbeirast; was sind schon konventionelle Sexszenen gegenüber der morbiden Erotik des Messerwerfens, wie sie Patrice Leconte in Die Frau auf der Brücke ins Bild setzt?!
In stilvollem Schwarz-Weiss erzählt Leconte sein Märchen von zwei Unglücklichen, die sich zusammentun, um das Glück auf die Probe zu stellen. Das Pech klebt an mir, wie die Fliegen am Dreck, erzählt Adéle (Vanessa Paradis) am Anfang einer Psychologin. Fast zehn Minuten lang berichtet sie direkt in die Kamera von genetisch bedingtem Unglück und einer endlosen Kette fehlgeschlagener Romanzen. Grund genug, sich von einer Brücke in die Seine zu stürzen. Auf der Brücke wartet Gab or (Daniel Auteuil), der Messerwerfer, um die Lebensmüde als Zielscheibe zu rekrutieren. Er springt ihr hinterher, und in der Aufwärmkammer des Krankenhauses werden die beiden handelseinig. Gabor verwandelt Adéle in einen strahlenden Varieté-Star, zwischen ihnen entsteht eine fast schon telepathische Übereinstimmung. Risiko und Glück sind ihre ständiger Begleiter. Sogar die Kasinos an der Cote d'Azur überhäufen sie mit Gewinnen. Die Beziehung bleibt dabei streng platonisch. Ich schlafe nicht mit meinen Zielscheiben, sagt Gabor schon zu Anfang. Adéle vergnügt sich weiter mit flüchtigen Bekannten, und als sie mit einem griechischen Bräutigam durchbrennt, bricht die Glückssträhne abrupt ab.
Patrice Leconte gehört zu den Gourmet-Köchen des französischen Kinos. In erlesener Bildqualität erzählt er von ungewöhnlichen Leidenschaften wie Haareschneiden oder Messerwerfen. Filme wie Der Mann der Friseuse oder Das Parfüm von Yvonne kaschierten inhaltliche Belanglosigkeiten mit gediegener Ästhetik.
Auch Die Frau auf der Brücke ist eigentlich keine große Geschichte. Zwei finden sich, verlieren sich und kommen wieder zusammen. Dazwischen ein paar eingestreute existenzialistische Lebensweisheiten. Aber die beiden - das sind Vanessa Paradis und Daniel Auteuil, und die sind jede der stilsicheren Einstellungen wert und atemberaubend in ihrem Zusammenspiel. In Lacontes poetischen Schwarz-Weiss-Aufnahmen schwingt die französische Filmgeschichte ebenso mit wie die Werbeästhetik der Parfümindustrie. Das alles im Dienste der filmischen Verführung, und die ist mehr als gelungen.
Martin Schwickert
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