ONE HOUR PHOTO Bitte lächeln
Robin Williams ist böse Prüfe Dein Lächeln!" steht auf dem Spiegel im Umkleideraum. Wenn Sy (Robin Williams) es mit dem Lächeln versucht, wird sein Mund horizontal nach links und rechts in die Länge gezogen. Der Rest des Gesichts bleibt dabei von der mimischen Anstrengung gänzlich unberührt. Sy ist einer aus dem anonymen Heer der modernen Dienstleistungsgesellschaft. Hineingezwängt in seinen Corporate-Identity-Kittel steht er in einem Einkaufszentrum an der Express-Foto-Annahme. Seit mehr als zehn Jahren entwickelt er die Bilder der Vorstadtkundschaft und schaut direkt in das Privatleben der Menschen. Junge Eltern, Unfallgutachter, Gesichtschirurgen, Pornografen und Katzenliebhaber gehören zu seinem Kundenkreis. Die Bilder sind Sys Verbindung zur Welt. Abends kehrt er zurück in sein Apartment, das genau so farblos, hell und aufgeräumt ist wie sein Arbeitsplatz. Er setzt sich vor den Fernseher. Die Kamera fährt langsam zurück, der Blick öffnet sich auf eine gigantische Fotowand. Sorgfältig sind die Abzüge bis zur Decke aufgeklebt. Alle Bilder zeigen die selbe Familie. Denn wenn Nina Yorkin (Connie Nielsen) ihre Filme abgibt, macht Sy immer einen Abzug mehr für die eigene Galerie. Die Yorkins sind eine Bilderbuchfamilie: gut verdienender Vater, attraktive Mutter, zuckersüßer Sohn, schickes Eigenheim. Manchmal fährt Sy zum Haus der Yorkins und träumt sich als netter Onkel in die Idylle hinein. Als Sy eines Tages herausfindet, dass der Vater seine Ehefrau betrügt, verlässt er den Beobachterposten und greift aktiv in die Familienrealität ein. One Hour Photo ist ein scharf gezeichnetes Porträt von der Einsamkeit des Biedermannes, in das mit langsam ansteigender Dosierung Thriller-Elemente eingestreut werden. Wie schon in Insomnia arbeitet Robin Williams an seinem Image-Wechsel. In Filmen wie Good Will Hunting , Flubber und Patch Adams war Williams auf die Rolle des traurigen Clowns abonniert. Hier mutiert er zum manischen Verteidiger und gewaltsamen Usurpator einer amerikanischen Musterfamilie. Mit kühler, analytischer Präzision blickt Regisseur Mark Romanek auf die Einsamkeit des Voyeurs, der keine sexuellen, sondern soziale Bedürfnisse zu befriedigen versucht. Schleichend steigert er die Spannung unter vollkommenem Verzicht auf blutige Effekte. Romanek kommt aus der Musik-Video-Branche, aber das sieht man dem Film nicht an. Geradezu programmatisch überwiegen die klaren, langgezogenen Einstellungen. Die Bilder gehorchen einer strengen Farbdramaturgie, die Sys Umgebung in sterile Weiß- und Grautöne taucht und Farben nur durch die Fotografien in sein Leben eindringen lässt. One Hour Photo ist ein Film, der die Zügel fest in der Hand hält. Das ästhetische Konzept spiegelt den Stilwillen des Regisseurs ebenso wie den Seelenzustand der Hauptfigur, lässt jedoch kaum Raum für Überraschungen. Weniger Angst vor Kontrollverlust hätte nicht nur Sy, sondern auch dem Regisseur gut getan.
Martin Schwickert
USA 2002 R&B: Mark Romanek K: Jeff Cronenweth D: Robin Williams, Connie Nielsen, Michael Vartan
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