THE DOOR IN THE FLOOR


Planeten für sich

Tod Williams verfilmt John Irvings Witwe für ein Jahr

Dass John Irvings 730 Seiten starkes Buch Witwe für ein Jahr alle Dimensionen eines abendfüllenden Spielfilms sprengt, war Regisseur Tod Williams wohl schnell klar. Mit The Door in the Floor beschränkt er sich deshalb auf das erste Drittel des Romans, der in drei biografischen Stationen vom Leben der Schriftstellerin Ruth Cole berichtet. Gerade einmal vier Jahre alt ist Ruth (Elle Fanning) und schon von der Last der Familienverhältnisse gezeichnet. Eigentlich sollte mit der Geburt der Tochter für die Coles ein neues Leben beginnen, nachdem die beiden Söhne im Teenageralter bei einem Autounfall umgekommen waren. Aber Marion (Kim Basinger) mauerte sich in ihre Trauer ein, während der Kinderbuchautor Ted (Jeff Bridges) Trost in Alkohol und Affären suchte.
Das weitläufige Sommerhaus auf Long Island gleicht einem Museum. Die langen Flure sind bis zur Decke mit den Fotografien der verstorbenen Söhne dekoriert. Zu jedem Bild gibt es eine Geschichte, die Ted seiner Tochter immer und immer wieder erzählen muss. Auch Ruth lebt in der Vergangenheit und begegnet unbekannten Menschen mit schrillen Schreiattacken. Eddie (Jon Foster) etwa, der neue blutjunge Assistent des Vaters, wird so empfangen. Der Jüngling, der im gleichen Alter ist wie die verstorbenen Söhne, bricht in die verkrustete Familienstruktur ein, wird zum Katalysator der Veränderung, aber auch zum Spielball der Erwachsenen. Während Eddie seine Unschuld verliert, findet Marion durch die Affäre mit dem Minderjährigen wieder zur Gegenwart zurück.
Irving-Adaptionen sind eine rutschige Angelegenheit. Die skurrilen Figuren verlieren sich oft in überzeichneten Kuriositäten, und die menschliche Tiefe der Geschichte gleitet wie in Lasse Hallströms Gottes Werk und Teufels Beitrag schnell in gediegenes Weichzeichnerkino ab. The Door in the Floor tappt in keine der beiden Fallen. Tod Williams steckt alle Kraft in die Gestaltung der Charaktere und entwickelt aus ihnen heraus einen eigenständigen, filmischen Mikrokosmos. Darin ist Jeff Bridges ein Planet für sich. Sein Porträt des versoffenen Ehemannes, liebenden Vaters, schlitzohrigen Womanizers und exzentrischen Literaten, der Tage mit der Setzung eines Kommas verbringen kann, vereint alle menschlichen Facetten der liebenswürdig-fehlbaren Irving-Figuren in sich. Auch Kim Basinger ist als die in Schönheit erstarrte, trauernde Mutter gut besetzt. Nur ein paar mimische Nuancen in ihrem Gesicht reichen aus, um die Wandlung der Figur deutlich zu machen.
Leicht könnte die Geschichte ins Melodramatische, in aufgesetzte Komik oder ungehemmtes Overacting verfallen. Aber Williams versteht etwas von Feinabstimmung, nimmt die Kamera zurück, wo andere draufhalten würden, zähmt den Orchestergraben und erschafft ein filmisches Biotop, in dem die Figuren genau so frei atmen können, wie sie es in Irvings Romanen tun.

Martin Schwickert
USA 2004. R&B: Tod Williams K: Terry Stacey D: Jeff Bridges, Kim Basinger, Jon Foster