FLAMENCO
Kräftig gelitten Carlos Saura und sein Lieblingsthema Carmen"-Regisseur Carlos Saura widmet sich in seinem neuen Film, der mit drei Jahren Verspätung in die deutschen Kinos kommt, ganz und ausschließlich dem Thema Flamenco. Keine lästige Rahmenhandlung mehr, die Tanz und Musik in verbraucherfreundliche Handlungsmuster einbettet. Bis auf einige wenige einleitende Sätze, die den Flamenco als multikulturelles Phänomen andalusischer Geschichte einordnen, wird in dieser inszenierten Dokumentation kein Wort gesprochen. Flamenco pur: Tanz, Gesang und Gitarrenklänge. Als Kulisse dient ein stillgelegter Bahnhof in Sevilla - ein riesiger, kathedralenartiger Raum, der nur von dünnen Papier-Trennwänden und Spiegeln unterteilt wird. Das spartanisches Filmambiente wird allein durch die ausgeklügelte Licht- und Farbdramaturgie des Kameramannes Vittorio Storaro, dessen Filmographie von Der letzte Tango von Paris über Apokalypse Now bis hin zu Dick Tracy und Der letzte Kaiser reicht, in unterschiedliche Stimmungsvariationen getaucht. Carlos Sauras führt in zwanzig Episoden durch die Geschichte des Flamencos: von traditionellen religiösen Weihnachtsgesängen, über Steptanzvariationen ganz ohne musikalische Begleitung, stilvoll kostümierten Gruppenchoreographien bis hin zu den Tangoversionen des Gitarristen Paco de Lucia und moderneren Formen, die karibische Rumbarhythmen in den Flamenco integrieren. Was dem durchschnittlichen deutschen Spanien-Urlaubern in der Regel entgeht, wird hier freundlicherweise im Untertitel übersetzt: die Texte erzählen von gebrochenem Stolz, vom Schmerz des Verlassenwerdens, vom unerfüllten Begehren und tiefen Sehnsüchten. Alte Männer mit gelben Zähnen legen ihre ganze Energie in den wehmütigen Gesang, erfahrene Frauen bündeln die gesamte Lebenswut in ihrer Stimme. Kein Zweifel: hier wird so kraftvoll gelitten, wie man es im Kino nur selten sieht.
Martin Schwickert
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