LIEBER FIDEL Dictators are pussies Das wilde Leben der CIA-Agentin Marita Lorenz Alter Knacker, ich liebe Dich immer noch! ruft Marita Lorenz begeistert aus, als sie ihren früheren Geliebten im Fernsehen sieht. Die Rede ist hier immerhin von dem kubanischen Partei- und Staatschef Fidel Castro, der vor den TV-Kameras in all seiner Unsterblichkeit den Meeresfluten entsteigt. Gerade einmal 19 war Marita Lorenz, als sie an Bord der "Berlin" in den Hafen von Havanna einlief. Die kubanische Revolution war noch im Siegestaumel. Castro persönlich inspizierte das deutsche Kreuzfahrtschiff und eroberte das Herz der Kapitänstochter. Marita Lorenz, deren wirre Lebensfäden Wilfried Huismann in seinem aufregenden Dokumentarfilm Lieber Fidel verfolgt, blieb als Castros "Alemanita" in Havanna. Schon bald verliert der Revolutionsführer das Interesse an ihr, als Ex-Geliebte wird sie für den CIA interessant. Der amerikanische Geheimdienst plant, zusammen mit der kubanischen Exilmafia, einen Mordanschlag auf Castro. Nach intensiver Gehirnwäsche wird Marita mit einer Giftkapsel in der Handtasche nach Havanna geschickt. Das Gift landet im Bidet, die verhinderte Attentäterin verbringt eine letzte Liebesnacht mit ihrem Fidel. Die Liebe war stärker, sagt sie und klingt dabei noch nicht einmal nach einem Hollywoodfilm. Als Mitwisserin von Regierungsverbrechen bleibt sie in den Fängen des CIA. In den Sümpfen von Everglades wird sie zur aktiven Kämpferin der antikommunistischen Penetrationsbrigande ausgebildet. Heute lebt die frühere Agentin in einer kleinen Sozialwohnung in New York. Das Deutsch der Bremer Weltbürgerin mischt sich immer wieder mit amerikanischen Satzfragmenten. Dictators are pussies, sagt sie, denn mit Alleinherrschern kennt sie sich aus. Aus einem kurzzeitigen Verhältnis mit dem ehemaligen Diktator Venezuelas Marcos Pérez Jiménez ist Tochter Monica hervorgegangen. Nur kurz stellt der Film sie vor. Ein paar knappe Sätze von ihr reichen aus, um die bittere Seite des wilden Agentendaseins zu veranschaulichen. Aus der Ferne betrachtet wirkt Marita Lorenz Leben wie ein schillernder Abenteuerroman. Die Stärke von Huismanns Dokumentation liegt in der Entmystifizierung. Marita Lorenz ist eine unscheinbare Frau, die eher zufällig in die Mühlen des Kalten Krieges geraten ist. Ihre Biografie ist ein konsequenter Zick-Zack-Kurs und bleibt mit der Weltgeschichte stets auf Tuchfühlung. Selbst mit dem Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald stand sie in Kontakt und ihre Aussage vor dem Kennedy-Untersuchungsausschuss versuchte man mehrfach mit Mordanschlägen zu verhindern. All das erzählt die 59jährige in gelassenem Ton, ganz ohne Geheimdienstler-Pathos. Eine Frau, deren Leben ganz anders verlaufen wäre, wenn sie sich nicht zur falschen Zeit in den falschen Mann verliebt hätte. Der Film begleitet Marita Lorenz noch einmal nach Havanna, wo sie sich um ein Treffen mit Fidel Castro bemüht. Der Mitarbeiter begrüßt sie herzlich, der große Bärtige hingegen empfängt sie nicht. Dictators are pussies - da muss man ihr einfach recht geben. Martin Schwickert D 2000 R&B: Wilfried Huismann K: Reinhard Gossmann
|