Eyes Wide Shut


Wenn Yuppies Pot rauchen

Kubricks postumes Werk lebt nur vom Ruf des Meisters

Über den neuen Film von Stanley Kubrick schreiben? Normalerweise eine dankbare Aufgabe. Dummerweise ist es gleichzeitig Kubricks letzter Film. Kurz nach Fertigstellung von Eyes Wide Shut verstarb Kubrick. Das verstörte einige Cineasten so sehr, dass sie Eyes Wide Shut gleich dem "genialen Gesamtwerk" des Meisters einverleibten. Schluck! Da traut man sich ja gar nicht mehr, den Film schlecht zu finden. Kann man es wagen, dem Genie Kubrick post mortem in den Arsch zu treten? Kommen bei einem Hauptdarsteller Tom Cruise wirklich nicht die geringsten Zweifel auf?
New York 1999: Ein Arzt (Tom Cruise) wird mit einer erotischen Phantasie seiner Frau (Nicole Kidman) konfrontiert. Nachdem die beiden zusammen einen Joint geraucht haben, erklärt sie ihm dass sie vor einem Jahr mal gerne von einem anderen Kerl "gefickt" worden wäre. Wie schmutzig! Ihren Mann wirft dieses Geständnis derart aus der Bahn, dass er sich kurze Zeit später ziellos herumstreifend in den Strassen New Yorks wiederfindet.
Wenn Yuppies Pot rauchen, kann nichts gutes dabei herauskommen. Handfeste Ehekrisen können daraus entstehen. Seien wir ehrlich, wenn Kubrick ein Meister war, dann einer, der wußte, wie man unvergessliche Bilder erschafft. Über den Inhalt von Kubricks Filmen und seine Fähigkeit, eine Geschichte zu erzählen, liesse sich ganz gehörig streiten.
Nachdem der Arzt um ein Haar von einer Patientin und kurz danach sogar noch von einer Nutte verführt worden wäre, wächst sein Grad der Verwirrung proportional mit dem der Zuschauer. Passiert hier wohl noch was? Was für ein Problem hat der Doktor eigentlich? Keiner weiß es. Ausser Kubrick. Natürlich. Aber den können wir ja jetzt nicht mehr fragen.
Der junge Ehemann, immer noch auf der Suche nach sich selbst, wird zum Teilnehmer einer Orgie. Gekleidet in einen schwarzen Umhang und das Gesicht verborgen unter einer Maske, wird der Arzt Zeuge eines Schauspiels, das in Wirklichkeit zwar einem sechzehnjährigen kaum mehr als ein müdes Lächeln abverlangen würde, ihn aber fast um den Verstand bringt. So wollte es Kubrick jedenfalls. Dass das alles ziemlich lächerlich wirkt und zudem in schrecklich biederen Bildern eingefangen wurde, hat er das wirklich so gewollt? Oder sind Kubrick bei seinem letzten großen Film einfach nur die Ideen ausgegangen?
Vielleicht liegt es an der Geschichte. Eyes Wide Shut basiert auf Motiven aus Arthur Schnitzlers Traumnovelle. Zwanzig Jahre hat Schnitzler gebraucht, sein Buch über geträumte Untreue zu vollenden. Die Traumnovelle wurde ca. 1927 veröffentlicht und sorgte damals für einiges Aufsehen. Damals.
In die Jetztzeit transportiert, wirkt der Stoff ziemlich blutleer und belanglos. Kubrik scheint eine ziemlich spießbürgerliche Auffassung von Erotik gehabt zu haben. Die Sexszenen, die er für Eyes Wide Shut inszeniert hat, wirken geradezu antiseptisch.
Dazu noch langweilige, aus Millionen von schlechten Erotik Thrillern nur allzu bekannte F-Wort-Dialoge. Das mag an dem Kulturkreis liegen, dem Kubrick entstammt, die Amis kennen halt nur ein Wort für den Beischlaf und benutzen es ziemlich exzessiv. Ficken ist das letzte Wort, das hier gesprochen wird, dann ist der Film zuende. Für Kubrick wohl ein ultimatives Statement in Sachen Sex. Und ein geradezu lächerlicher Versuch, den klinisch sauberen Bildern einen Hauch Schmutz zu verpassen.
Auch visuell war der Meister sicher nicht mehr ganz auf der Höhe. Zwar sind in Eyes Wide Shut Bildkompositionen zu sehen, wie sie so wohl wirklich nur Stanley Kubrick inszenieren konnte: Jeder Raum ist in ein anders Licht getaucht. Elegante Ausstattung, penibel bis ins letzte Detail. Wunderbare Kameraschwenks und grossartige Einstellungen, von den hübschen Frauen bei der Orgie ganz zu schweigen. Aber Kubrick findet einfach kein Mittel, um uns die sexuellen Abgründe, auf die er anspielt, wirklich plausibel zu machen. Und ob es sich dabei um Träumereien oder Realität handelt, spielt dabei keine Rolle. Der Alptraum, der hier gezeigt wird, lädt einen nicht zum Fürchten ein.
Stichwort Schauspieler: Tom "Nothingface" Cruise bestätigt wieder einmal alle Vorurteile, der Mann kann einfach nicht spielen. Und seine Frau Nicole Kidman steigert sich in ein geradezu hysterisches Overacting hinein, dass sie einem zu Guterletzt ziemlich auf die Nerven geht. Dass der Regisseur Sidney Pollack hier auch eine kleine Rolle hat (als Ersatzmann für den gefeuerten Harvey Keitel) - geschenkt. Regisseure sollten eben nicht vor der Kamera stehen. Aber das ist nur einer von vielen schlechten Einfällen die Kubrick hier hatte.

Mirko Puzic