ES KOMMT DER TAG Späte Rache Schon wieder ein RAF-Dramolett Verwunschen liegt der Weinberg am Rande einer gewundenen Straße im Elsass. Auf jedem Rebstock flattert ein Zettel - die Fotokopie eines Fahndungsaufrufes des Bundeskriminalamtes. Das Foto der gesuchten Terroristin ist über dreißig Jahre alt, aber es könnte ausreichen, um Judith (Iris Berben) zu identifizieren und für einige Jahre hinter Schloss und Riegel zu bringen. Die ehemalige RAF-Kämpferin hat sich hier nahe der deutsch-französischen Grenze unter falschem Namen eine neue Existenz aufgebaut: ein Mann, zwei Kinder, ein Weingut. Die Vergangenheit hat sie hinter sich gelassen, so gut es ging. Für den Notfall lagern auf dem Dachboden unter Dielenbrettern gefälschte Pässe und wertlos gewordene D-Mark-Bündel. Die Familie ahnt nichts vom terroristischen Hintergrund der Mutter, bis Alice (Katharina Schüttler) nachts im Hof steht und sich in der Ferienwohnung einquartiert. Im Gepäck hat sie eine ganze Akte über die gesuchte Terroristin, Fotos der Todesopfer, die damals bei dem missglückten Überfall erschossen wurden, und jene Fahndungsfotos, die sie nachts an die Rebstöcke heftet. Aber anders als in Conny Walthers Schattenwelt ist die junge Frau, die die Vergangenheit aufwühlt, nicht das Kind eines Opfers, sondern die leibliche Tochter der ehemaligen Terroristin. Vier Jahre alt war Alice, als ihre Mutter sie zur Adoption freigab, um in den Untergrund zu gehen. Als erwachsene Frau trägt sie eine Wut in sich, die über viele Jahre von der Ungewissheit genährt wurde. Alice konfrontiert ihre Mutter und deren neue Familie mit der terroristischen Vergangenheit und ihrer eigenen tiefen Verlassenheit. Angelehnt an die Geschichte von Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, die den Kontakt zu ihren Kindern abbrachen, entwirft Susanne Schneider in Es kommt der Tag eine fiktive Konfrontation der Revolutionäre mit ihren Kindern. Seine Stärke entwickelt der Film in der direkten, emotionalen Auseinandersetzung zwischen Mutter, Tochter und dem Rest der Familie. Katharina Schüttler überzeugt als zutiefst enttäuschte Rächerin der verlorenen Kindheit, und auch Iris Berben arbeitet die verdrängten Gewissenskonflikte der ehemaligen Terroristin jenseits von vereinfachten moralischen Klischees sorgfältig heraus. Natürlich hat dieses Weingut-Kammerspiel um die bundesdeutsche Vergangenheitsbewältigung seine Schwächen. Besonders in der Zielgeraden gerät die Handlung ins Schlingern. Aber im Gegensatz zu Politepochengemälden wie "Der Baader-Meinhof-Komplex" stellt Susanne Schneider die interessanteren Fragen nach persönlicher Verantwortung, Verdrängung, Reue, Vergebung und unüberbrückbaren Generationskonflikten. Martin Schwickert D 2009 R&B: Susanne Schneider K: Jens Harant D: Iris Berben, Katharina Schüttler, Jacques Frantz
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