DIE SCHUTZENGEL


Laute Langeweile

Triaden in Hongkong und Paris, ein Kind, Depardieu und ein Haufen Krawall

Das Beste zuerst: Die Geliebte des Nachtclubbesitzers nennt diesen einmal, als sie böse auf ihn ist, "Stronzo"; klingt gut, merken wir uns.
Den Rest jetzt: Der Nachtclubbesitzer wird von Gérard Depardieu gespielt, und auch, wenn wir nicht genau wissen, was "Stronzo" wirklich bedeutet, so haben wir wenigstens eine gewisse Ahnung, die die geneigte Leserin, der geneigte Leser nachvollziehen kann, wenn sie oder er (oder beide?) nur einmal laut mit italienischem Akzent "Stronzo" sagt, das "t" knallen läßt, das "r" rrrichtig rrrollt und dem "onzo" jene leidenschaftliche Melodie gibt, die beim letzten "o" vage verklingt, wie wir es von italienischen Mammas aus dem Fernsehen kennen. Der Nachtclubbesitzer wird also von Gérard Depardieu gespielt, und selten war er weniger Stronzo als hier. Er kümmert sich rührend um die Mädels, die für ihn strippen, ist wie ein Engel zu seiner aufbrausenden italienischen Geliebten und allen anderen ein guter Freund. Und als er einen Anruf aus Hongkong bekommt, in dem ihn ein alter, seit Jahrzehnten nicht gesehener Kumpel bittet, ein Kind und ein paar Millionen Dollar nach Frankreich zu bringen, braucht es nur eine kleine Überredung, und der nette Nachtclubbesitzer sitzt im Flieger.
Da haben wir die Exposition schon hinter uns. Die beginnt auf einem hongkongischen Schiff, wo ein zerfurchter französischer Weltenbummler zu einem chinesischen Kind etwas wie "Jetzt sind wir reich, jetzt müssen wir nur noch hier rauskommen" sagt, und nach so einem Satz fängt gewöhnlich der Krawall an. Hier auch. Unmengen chinesischer Finstermänner verfolgen den Weltenbummler samt Kind, jagen halb Hongkong in die Luft und massakrieren nebenbei einen bedeutenden Teil der Bevölkerung. Zufällig kommt der Weltenbummler nebst Kind zu katholischen Missionaren, die uns in einem Expositions-Nebenstrang bereits hinlänglich vorgestellt wurden. Der Weltenbummler läßt das Kind bei den Missionaren, um weiterzufliehen und nebenbei den Anruf bei seinem Nachtclubbesitzerkumpel zu tätigen. Während des Anrufes wird er in der Telefonzelle von den Finsterlingen unter Zuhilfenahme eines schweren LKWs zerquetscht. Diese Szene ist ein bißchen ärgerlich, weil sie wie ein Gag aufgebaut ist: der Weltenbummler spricht von seiner schweren Krankheit, der Nachtclubbesitzer murmelt etwas wie "So schlimm wird's schon nicht sein", während wir Zuschauer den LKW anrollen sehen.
Als der Nachtclubbesitzer in Hongkong eintrifft, warten die Finstermänner ("Triaden", wie wir inzwischen gelernt haben) bereits und jagen bei der anschließenden Verfolgungsjagd die andere Hälfte Hongkongs in die Luft und massakrieren den Rest der Straßenhändler und Passanten. Der Nachtclubbesitzer bleibt aber unversehrt, genau wie das Kind, das er bei den Missionaren findet und dort läßt, um die Millionen von Dollars von der Bank zu holen. Zurück nach Frankreich geht's dann mit den Missionaren; der Nachtclubbesitzer macht die Bekanntschaft eines musterhaften Paters, und der ruft ihm beim (vorläufigen Abschied) in Paris zu, daß ihn sein Gewissen niemals Ruhe geben werde, wenn er sich nicht ändert. Und jetzt erscheint auch endlich der erste der titelgebenden "Schutzengel": des Nachtclubbesitzers Ebenbild, ein Geist, blondgelockt und weißgekleidet, der ihn auf den richtigen Weg zurückbringen will. Obwohl wir den Aufwand nicht ganz nachvollziehen können, so schlecht ist der Nachtclubbesitzer - wie gesagt - gar nicht. Aber egal, in der weiteren Handlung, in der es bei der Suche nach der Mutter des Kindes und der Verteidigung gegen eigens angereiste Triaden geht, spielt des Nachtclubbesitzers Geist genausowenig eine Rolle wie der Geist, der dem Pater erscheint, sozusagen unter umgekehrten Vorzeichen: Dieser ist böse, versucht den Geistlichen vom rechten Weg abzubringen und soll erst verschwinden, wenn der Nachtclubbesitzer geläutert ist, was ganz am Schluß auch passiert, wenn der seine italienische Geliebte ehelicht.
In der Zwischenzeit haben wir Nachforschungen, das Wort "Stronzo" betreffend, angestellt, und unsere italienische Gewährsfrau bestätigt die vermutete Bedeutung: Stronzo sei ein italienisches Schimpfwort, bei jeder Gelegenheit, jedoch nur auf Männer anzuwenden und wie alle italienischen Schimpfworte nicht unbedingt beleidigend, es käme auf den Tonfall an. "Stronzo" heißt übrigens "Haufen Hundekot".
Aber das nur am Rande. Worunter Die Schutzengel vor allem leidet, ist das Fehlen eines wirklichen Konflikts zwischen den beiden Gegenspielern, dem Geistlichen und dem Nachtclubbesitzer. Dieser Konflikt existiert nicht, wird aber immer behauptet. Der Geistliche ist gut und der Nachtclubbesitzer nett, wenn er sich auch gelegentlich abenteuerlicher Lügengeschichten bedient; er hat fast immer die besten Absichten. Und der Zuschauer sitzt im Kino und fragt sich, was das alles soll. Die Schutzengel ist extrem krawallig, aber der Krawall wirkt wie aufgesetzt, als hätte jemand noch einen Haufen pyrotechnischer Gegenstände im Lager, deren Verfallszeit bald abgelaufen ist und die unbedingt schnell verbraucht werden müssen. Die Story ist zerfasert und unglaubwürdig, und die Schutzengel selbst haben zwar einige nette digitale Spezialeffekte, halten die Handlung aber immer nur auf. Keine französische Actionkomödie, sondern lediglich laute Langeweile.

Jens Steinbrenner