ELEPHANT Banales Sterben Gus van Saint beobachtet ein Schulmassaker Wenn Jugendliche bis an die Zähne bewaffnet in die Schule gehen und ihre Mitschüler und Lehrer einfach abknallen dann will die Gesellschaft dafür Gründe sehen, denn sie sind der Schlüssel für die Verteilung von Schuld. Gus Van Sants in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneter Film verweigert sich der Ursachenforschung. Wer verstehen will, muss sehen, ohne zu suchen, und selbst das ist kein Garant für schlüssige Erklärungen. Elephant beschreibt einen bedrückend normalen Schultag an einer amerikanischen High-School, an dessen Ende zwei Schüler zu kaltblütigen Mördern geworden sind. Die Kamera folgt dem Footballspieler Nate vom Spielfeld durch die langgezogenen Gänge des Campus hin zum Sekretariat, wo er seine Freundin trifft. Sie stellt John vor, der wieder einmal zu spät kommt, weil sein betrunkener Vater ihn zur Schule fahren wollte. Sie folgt den langen Umwegen, die die schüchterne Michelle in Kauf nimmt, um dem Mobbing ihrer Mitschülerinnen zu entgehen. Und sie zeigt die Freunde Eric und Alex, die in Tarnkleidung und mit schweren Taschen beladen den Südflügel des Schulgebäudes betreten. Die Kamera bleibt in Bewegung ohne in modischen, pseudodokumentarischen Wackelstil zu verfallen. Die langen Fahrten durch die endlosen Schulflure entwickeln eine hypnotische Stimmung, in der sich das nahende Unglück ankündigt. Als dann die Pump-Guns durchgeladen werden, bleibt die Kamera ruhig, zeigt den Bildausschnitt aus der Perspektive des Schützen, in dem die Menschen zu Spielfiguren verschwimmen oder blickt auf einen Körper, der nach dem Schuss leblos in sich zusammen sinkt. Aus diesen Szenen ist jeder Voyeurismus und alles Spekulative verbannt. Der ruhige Blick auf die Tat ist bestürzend, ohne dass er danach trachtet, die Denkfähigkeit des Publikums auszuschalten. Elephant funktioniert nicht über Worte, sondern über Atmosphäre. Die Banalität des Schulalltaglebens und die Banalität des Sterbens stehen einander fast sprachlos gegenüber. Über den Bildern liegt eine innere Spannung und eine tiefe Traurigkeit, die mehr als alle psychologischen Analysen vom emotionalen Klima erzählen, aus dem heraus eine solche Tat entsteht. In diesem Bekenntnis zum Diffusen besteht die eigentliche Provokation des Films, dem die Nähe zum jugendlichen Lebensgefühl wichtiger ist als die Erklärungsdrang der Erwachsenenwelt. Martin Schwickert USA 2003 R&B: Gus Van Sant K: Harris Savides D: Alex Frost, Eric Deulen, John Robinson
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