EIN WAHRES VERBRECHEN


Last Dance

Clint Eastwood erlebt seinen dritten Frühling

Auch mit seinen 68 Jahren kann der Reporter Steve Everett (Clint Eastwood) von jungen Blondinen nicht ablassen. Der Film beginnt in einer Bar, wo der alte Charmeur eine 23jährige Kollegin zu verführen sucht. Sie läßt ihn abblitzen, doch noch in der gleichen Nacht findet Everett Trost bei der Gattin seines Redaktionskollegen. Man merkt, daß Clint Eastwood sich diese Rolle selbst auf den Leib geschrieben hat. Neben Robert Redford steht kaum ein anderer Schauspieler derart für die Unsterblichkeit männlichen Sex-Appeals.
Während sein Chefredakteur (James Woods) ihn schulterklopfend zur neuesten Eroberung beglückwünscht, zeigt Everett weder Reue noch Stolz, denn er hat sich auf gleiche Weise schon zuoft hineingeritten und Ehe wie Karriere ruiniert. Hinter der Herzensbrecherfassade wird das Trümmerfeld seines Lebens sichtbar. Seine Frau wird später den Ehering vom Finger ziehen und zu ihm sagen: "Wenn das eine Kugel wäre, wärst Du tot."
Das Privatleben eines Filmhelden ist normalerweise nur schmückendes Beiwerk. In Eastwoods Ein wahres Verbrechen nimmt es fast mehr Raum ein als die eigentliche Geschichte, die wieder einmal das Thema Todesstrafe behandelt. Eigentlich sollte Everett nur ein kurzes Interview für die Klatschspalte mit dem schwarzen Verurteilten Frank Beachum (Isaiah Washington) führen. Aber Everett ist ein Reporter alter Schule mit einer unbestechlichen Nase für stinkende Stories. Daß hier der Falsche staatlicherseits zu Tode gespritzt werden soll, ahnt der zynische Reporter zunächst nur, und ihm bleiben ganze zwölf Stunden Zeit, hierfür stichhaltige Beweise zu sammeln.
Der Blick auf die Uhr gehört auch hier, wie in Last Dance und Dead Man Walking, zum wiederkehrenden Motiv der Todesstrafendramaturgie. Trotzdem kommt erst in den letzten dreißig Filmminuten wirkliche Rettungshektik auf, denn die Recherchen werden immer wieder unterbrochen von flüchtigen Zoobesuchen mit dem Töchterchen, einer handfesten Ehekrise, redaktionellen Debatten und Konfrontationen mit dem betrogenen Ehemann. Irgendwie wollen die beiden Stränge des Films - das Private und das Politische - nicht so recht zusammenwachsen. Einerseits ist das Todesstrafenthema moralisch zu gewichtig, um allein als Vehikel für Eastwoods Selbstbespiegelung herzuhalten. Andererseits ist das liebevoll ausgeschmückte Portrait des greisen Draufgängers weitaus interessanter als die etwas abgeschmackte Hinrichtungsdramaturgie. Als altersschlaues, locker erzähltes Genrestück aus dem Journalistenmilieu könnte Ein wahres Verbrechen sicherlich auch ohne lästige moralische Attitüden auskommen.

Martin Schwickert