DER EINSTEIN DES SEX


Rebellen fürs Fernsehspiel

Rosa von Praunheims Magnus Hirschfeld-Doku

Aus der bundesdeutschen Filmgeschichte ist ein Mann wie Rosa von Praunheim nicht wegzudenken. Praunheim ist ein brillanter Provokateur, aber - Hand aufs Herz - ein begnadeter Filmemacher war er nie. Seine Werke lebten immer von der Brisanz der These und dem schrägen Charme des Undergrounds. Nun setzt Praunheim mit Der Einstein des Sex dem eigentlichen Vater der Emanzipationsbewegung, Magnus Hirschfeld (1868-1935), ein filmisches Denkmal. Als liberaler Sexualwissenschaftler kämpfte Hirschfeld im Kaiserreich und der Weimarer Republik gegen den Paragraphen 175, der Homosexualität unter Strafe stellte. 1919 eröffnete er in Berlin das "Institut für Sexualwissenschaft", in dem alle Formen der Sexualität akzeptierend erforscht wurden und das 1933 von den Nazis komplett zerstört wurde.
Die Geschichtsträchtigkeit des Stoffes hat dazu geführt, dass sich auch ein Provokateur wie Praunheim in die Gefilde des konventionellen Erzählkinos verirrt. Im Abreißkalender-Verfahren arbeitet sich sein Film streng chronologisch durch Hirschfelds bewegtes Leben: erste Zeichnungen von kopulierenden Hunden in früher Kindheit, inniges Verhältnis zum Pflegebruder im liberalen jüdischen Elternhaus, Auseinandersetzung mit den schwulenfeindlichen Lehrstandards im Medizinstudium, und als Schlüsselerlebnis der Selbstmord eines homosexuellen Patienten. Mit dem Zeigestock weist Praunheim auf die Wendepunkte in der Biografie des engagierten Sexologen.
Wer immer noch nicht verstanden hat, dem hilft der Kommentar des Ich-Erzählers über letzte Zweifel hinweg. Dazu plätschert wie in der "Lindenstraße" ein sanft-beschwingtes musikalisches Leitmotiv aus dem Off herein. Brav werden die Episoden und ihr offensichtlicher Erkenntnisgehalt aneinander gereiht, ohne dass die Atmosphäre der jeweiligen Epoche greifbar wird. Ob Kaiserreich, 1. Weltkrieg, Weimarer Republik oder beginnender Faschismus - alles sieht hier gleich unglaubwürdig aus. Praunheims berüchtigter plakativer Diletantismus verbindet sich äußerst unglücklich mit biederen Erzählkonventionen und handwerklichem Unvermögen.
Hirschfelds Leben und Werk hat in der deutschen Geschichte bis heute wenig Anerkennung gefunden und hätte eine professionellere filmische Würdigung verdient. Praunheim allerdings serviert den spannenden historischen Stoff als didaktische Schulfernsehstunde, die auch aufgeschlossene Mitschüler in den Schlaf wiegen wird.

Martin Schwickert