»DURCHGEKNALLT«

Aus dem Gleis

Winona Ryder kommt in die Psychiatrie

In den späten 60ern kam man schnell in die Psychiatrie und nur schwer wieder heraus. Während die eifrigen Mitschülerinnen sich schon einen College-Platz sichern, treibt die 17jährige Susanna (Winona Ryder) orientierungslos durch ihr spätpubertäres Leben. Sie will einfach nicht hineinpassen in ihre Zeit, weder in die rebellische Jugendkultur noch in die spießige Eigenheimwelt der Eltern. Eine Packung Aspirin und eine Flasche Wodka hat Susanna geschluckt. Vater und Mutter halten das für einen Selbstmordversuch und schicken die unbequeme Tochter in ein privates Sanatorium. In der geschlossenen Anstalt sind die üblichen Verdächtigen versammelt: die magersüchtige Janet (Angela Bettis), die verhuschte Georgina (Clea DuVall), die missbrauchte Daisy (Brittany Murphy) und das von den Maskenbildnern verunstaltete Selbstverbrennungsopfer Polly (Elisabeth Moss).
Unangefochtene Anführerin im Frauentrakt ist Lisa (Angelina Jolie), die in der Kartei als Soziopathin geführt wird. Lisa - ganz Produkt der aufsässigen Zeit - terrorisiert und instrumentalisiert die anderen Patientinnen ohne Rücksicht auf Verluste. Auch Susanna erliegt dem manipulativen Charakter der Querulantin und übernimmt deren Feindbilder. Selbst die gutmütige Pflegerin Valerie (Whoopi Goldberg) und die kluge Psychologin Dr. Wick (Vanessa Redgrave) werden als persönliche Gegnerinnen angesehen. Erst nach einer dramatisch scheiternden Flucht gelingt es Susanna, sich aus der Vereinnahmung zu lösen und die Hilfestellungen der Klinik anzunehmen.
Nach 28 Tage folgt mit James Mangolds Durchgeknallt ein weiterer Film, der das angeschlagene Image psychiatrischer Anstalten aufpoliert. Mangold ( Copland ) hat den autobiografischen Roman "Seelensprung" von Susanna Kaysen adaptiert und bemüht sich, den Wahnsinn als eine normale Angelegenheit zu verhandeln. Winona Ryder, die bei dem Projekt auch als Co-Produzentin auftritt, bietet sich mit dezentem Spiel als Identifikationsfigur an. Die schöne Susanna ist nur ein wenig aus dem Gleis geraten und bei weitem nicht verrückt genug, um das Publikum zu verschrecken. Angelina Jolie hingegen, die in Hollywood als Nachwuchs-Star hoch im Kurs steht, baut ihre Lisa als bedrohlichen Seelenzombie auf und verfällt dabei in ungehemmtes overacting. Mangolds Durchgeknallt lässt sich nicht wirklich auf die paranoiden Vorstellungswelten seiner Figuren ein, sondern bleibt entgegen anderslautender Vorsätze in einem oberflächlichen Schwarz-Weiss-Schema hängen. Auch die Verankerung in den wilden 60ern wird abgesehen vom zeitgenössischen Soundtrack und einer gemeinsamen "Downtown"-Rezitation nur behauptet. Ein gut gemeinter, halbherziger Film, der es mit Klassikern wie Einer flog übers Kuckucksnest nicht aufnehmen kann.

Martin Schwickert