DIE ANDERE SEITE DES MONDES

Wirre Blicke

Das phantastische Kino des Robert Lepage

Mit diesem Film hat der frankokanadische Theatermann Robert Lepage die Verfilmung seines international erfolgreichen Bühnenstückes als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und zweifacher Hauptdarsteller selbst übernommen. Lepage spielt die beiden Brüder Phillippe und André, die so unterschiedlich sind wie die beiden Seiten des Mondes. André, der weltgewandte, schwule TV-Meteorologe, entspricht der strahlenden Seite des Erdtrabanten. Der erfolglos vor sich hin promovierende Weltraumwissenschaftler Philippe hingegen identifiziert sich eher mit der erdabgewandten Seite des Mondes. Nach dem Tod der Mutter kommen sich die beiden Brüder zwangsläufig näher. Philippe versucht vergeblich, die elterliche Wohnung zu entrümpeln und taucht immer wieder ab zu Reisen in Vergangenheit und Kosmos.
Bruchlos inszeniert Lepage die Übergänge zwischen Fantasie und Wirklichkeit. Der Blick in die Trommel einer Waschmaschine verwandelt sich in das Bullauge eines Raumschiffes und wieder zurück in ein Goldfischglas, ohne dass die Bilder durch einen Schnitt getrennt werden. Träume, Erinnerungen und die Absurditäten der Realität verwandelt Lepage in eine vergnügliche, schwerelose Reise durch das menschliche Vorstellungsvermögen und den brüderlichen Identitätszwist. Zwischenzeitlich darf Philippe sogar nach Moskau reisen, um seine These vorzustellen, dass die Raumfahrt nicht durch den Wissensdurst, sondern durch den Narzissmus des Menschen motiviert war. Aber auch hier kann niemand seine bahnbrechenden Erkenntnisse goutieren, weil der Unglücksmensch vergisst die Uhr umzustellen und den Kongress verschläft.
Mit Die andere Seite des Mondes löst sich Lepage von der intellektuellen Strenge seiner früheren Kinoarbeiten (Le Confessional/Le Polygraphe) und entwickelt eine verspielte Dramaturgie und Ästhetik, in der autobiografische Erkenntnis, kinotaugliche Fantasiegebilde und skurrile Komik anregend ineinander greifen.

Martin Schwickert

La face cachee de la lune. Kan. 2004 R&B: Robert Lepage K: Ronald Plante D: Robert Lepage, Anne-Marie Cadieux, Marco Poulin