DER FREMDE SOHN Zuviel Starpower Der schlichten Story über eine Kindesentführung steht Angelina Jolies Präsenz etwas im Weg Sechs Filme hat der mittlerweile 77jährige Clint Eastwood in den letzten fünf Jahren gedreht. Von Mystic River über Million Dollar Baby bis hin zu dem zweiteiligen Weltkriegs-Opus Flags of Our Fathers / Letters From Iwo Jima hat er seine Geschichten immer mit einer Dringlichkeit und erzählerischen Ökonomie vorgebracht, wie man sie heute im amerikanischen Kino nur noch selten findet. Eastwoods Filme reden nicht lange drum herum und stellen sich voll und ganz in den Dienst ihres Sujets. Nun hat er eine ebenso unglaubliche wie wahre Geschichte aus den zwanziger Jahren ausgegraben, die von dem Kampf einer alleinerziehenden Mutter um ihren vermissten Sohn erzählt. Als Christine Collins (Angelina Jolie) von ihrer Samstagsschicht in einer Telefongesellschaft spätnachmittags nach Hause kommt, ist ihr neunjähriger Sohn Walter spurlos verschwunden. Die herbeigerufene Polizei reagiert achselzuckend. Erst als Reverend Briegleb (John Malkovich) das Thema in seinen Radiopredigten aufgreift, gerät der Polizeiapparat von Los Angeles unter Druck. Der presbyterianische Pfarrer führt einen einsamen Kreuzzug gegen das unfähige und korrupte L.A.P.D., das die Bürger mehr schikaniert als beschützt. Nach fünf Monaten präsentiert Captain Jones (Jeffrey Donovan) mit großem Presserummel einen Fahndungserfolg. Aber der Junge, der aus dem Zug steigt und sich Christine in die Arme wirft, ist nicht ihr Sohn. Die Proteste der Mutter bleiben ungehört. Jones versucht ihr einzureden, dass sie unter Schock stehe und deshalb das Kind nicht wieder erkenne. Die Kameras blitzen, das Foto von Mutter und Findelkind kommt in die Zeitungen, der Ruf des L.A.P.D. ist gerettet. Nach anfänglicher Verunsicherung beginnt Christine gegen die Polizeimethoden zu protestieren, wird zwischenzeitlich in eine Nervenklinik weggesperrt und kämpft gegen die behördliche Willkür. Derweil wird ein zweiter Handlungsstrang eingeflochten, der von dem Serienmörder Gordon Northcotts (Jason Butler Harner) erzählt, der auf einer Hühnerfarm mehrere Jungen gefangen gehalten und ermordet hat. Darunter möglicherweise auch Walter Collins. Aber auch als der Mörder gefasst wird, bleibt das Schicksal von Christines Sohn im Ungewissen. In schnörkelloser Bildsprache erzählt Eastwood von dem langwierigen Kampf der Mutter, die sich mit dem spurlosen Verschwinden ihres Kindes und der Gleichgültigkeit der Behörden nicht abfinden will. Dabei vermeidet Eastwood alle simplifizierenden Starke-Frauen-Klischees und lotet die Verzweiflung der Figur ebenso gründlich aus wie deren Durchhaltevermögen. Auch wenn Angelina Jolies Gesicht durch eine dicke, weiße Schminkschicht ein wenig verfremdet wird, bleibt ihre Starpower ein Problem für diesen um Zurückhaltung bemühten Film, der von einer eher einfachen Frau erzählt, die langsam über sich selbst hinaus wächst. Da sich das Drehbuch von J. Michael Straczynski sehr nahe an den historischen Fakten entlang hangelt und die Genres des Gerichtsfilms und des Serienkiller-Thrillers streift, bleiben trotz schmuckloser Erzählung vor allem in der letzten halben Stunde der 142 Filmminuten einige Längen nicht aus. Martin Schwickert The Changeling. USA 2008 R: Clint Eastwood B: J. Michael Straczynski K: Tom Stern D: Angelina Jolie, John Malkovich, Jeffrey Donovan
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