DAS WEISSE BAND Die frühen Nazis Ein Blick ins heile Dorf-Leben Ein dünner Draht, fast unsichtbar zwischen zwei Bäumen gespannt, bringt Ross und Reiter zu Fall. Der Arzt stürzt vom Pferd und muss mit einem gebrochenen Schlüsselbein ins Krankenhaus in die Stadt. Am nächsten Tag ist der Draht verschwunden und alle Spuren verlaufen sich in der Weite der Wiese. Ein norddeutsches Dorf kurz vor dem Ersten Weltkrieg: Die Moderne ist hier noch nicht angekommen. Die Kutsche und ein Fahrrad sind die schnellsten Fortbewegungsmittel. Die Hierarchie der Feudalgesellschaft ist hier noch intakt: Es gibt einen Gutsherrn, einen Verwalter, einen Pastor, einen Arzt und einen jungen Lehrer, der neu in das Dorf kommt und als Erzähler durch den Film führt. In Das weiße Band entwirft der österreichische Filmemacher Michael Haneke ( Caché ) einen präzise gestalteten dörflichen Mikrokosmos, der von protestantischer Strenge und wilhelminischem Autoritätsdenken geprägt ist. Aber in die klare ländliche Ordnung drängen sich mysteriöse Verbrechen. Der Unfall des Arztes ist erst der Anfang. Eine Landarbeiterin findet den Tod, eine Scheune wird abgefackelt, ein Kohlfeld verwüstet, ein Wellensittich mit einer Schere erstochen, zwei Jungen werden entführt und gequält. Die Täter können nicht ausfindig gemacht werden und kaum einer im Dorf - außer dem jungen Lehrer - scheint Interesse an der Aufklärung der Untaten zu haben. Vielleicht weil die gewonnene Klarheit die bewährte Ordnung hinterfragen und die latente Gewalt, mit der sie aufrecht erhalten wird, zu Tage fördern würde. Der Pastor hält die Moral im Dorf aufrecht und erzieht seine Kinder mit autoritärer Rigidität. Dem Sohn werden nachts die Hände ans Bettgestell gebunden, damit er sich nicht an sich selbst vergeht. Die Rute, mit der "Herr Vater" die kleinsten Regelverstöße ahndet, müssen die Kinder selbst aus der Kammer holen. Zur Buße wird den Mädchen ein weißes Band ins Haar geflochten, um sie und das ganze Dorf an ihr Vergehen gegen die Tugend zu erinnern. Es sind neben dem hervorragenden Erwachsenen-Ensemble, das mit Ulrich Tukur, Burghart Klaußner, Steffi Kühnert, Susanne Lothar und Birgit Minichmayr bis in die kleinsten Nebenrollen hinein brilliert, vor allem die Kinder, die Haneke im Blick hat. Immer freudloser, undurchdringlicher und bedrohlicher werden deren Gesichter und in den jungen stumpfen Augen kann man erkennen, dass diese Kinder zwanzig Jahre später dem Nationalsozialismus als Mitläufer und Täter zum Erfolg verhelfen werden. Aber "Das weiße Band" ist weit mehr als eine Geschichtsstunde, die die Ursachen des deutschen Faschismus in den Abgründen der schwarzen Pädagogik sucht. Weiter gefasst will der Film auch als Parabel gegen jegliche Form von moralischem Rigorismus verstanden werden, der immer wieder Gewalt und Terror hervorbringt. Formal wie inhaltlich erweist sich Michael Haneke mit seiner präzisen Bildsprache auf dem Höhepunkt seiner Kunst als autarker Filmemacher, der die eigenen Ansprüche erfolgreich gegen die Erwartungen des Unterhaltungskinos verteidigt. Martin Schwickert D 2009 R&B: Michael Haneke K: Christian Berger D: Ulrich Tukur, Burghart Klaußner, Susanne Lothar
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