»LAST DANCE« Nachklapp
Schon wieder jemand in der Todeszelle: Sharon Stone Dead Man Walking ist noch nicht aus den Kinos, da kullert schon der nächste Film über die US-Todesstraße hinterher: Was um alles in der Welt die Verleih- und Produktionsfirmen zu diesem Timing veranlaßt hat - ist es Absicht? Ist es Dummheit? Oder hat hier einfach nur die Abteilung für Industriespionage versagt? - Man weiß es nicht. Selbst schuld, jedenfalls, denn wer so dicht auffährt, muß mithalten können. Auch in Last Dance : das Warten auf den Tod, der letzte Besuch von Verwandten, die Henkersmahlzeit, die kreuzförmige Hinrichtungsbahre, die Apparatur, die das tödliche Gift dosiert, die Glasscheibe zum Zuschauerraum, hinter der eine Person sitzt, die dem Sterbenden beisteht - die Ähnlichkeit der Details von Last Dance und Dead Man Walking ist frappierend. Und doch hat uns Tim Robbins' Film so tief berührt, während Bruce Beresfords Version des Stoffes einen auf irritierende Weise kalt läßt. Seit zwölf Jahren wartet die "rechtmäßig" verurteilte Doppelmörderin Cindy Liggett auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. Eine lange Zeit, die ihre Persönlichkeit grundlegend verändert hat. Ihrer Schuld bewußt, auch wenn jede Reue zu spät kommt, hat sie sich in dem engen Gefängnisalltag eingerichtet. Die Enge gibt ihr Halt, zum ersten Mal, wie es scheint. Cindy Liggett wird von Sharon Stone gespielt, und anfangs erkennt man sie kaum: Die halb langen, dunkelrot zerzausten Haare hängen über die Augen. Im verschwitzten T-Shirt steht sie mit hochgezogenen Schultern in der Ecke. Es ist Sharon Stones dritter Film in diesem noch jungen Kinojahr, und sie scheint alles daran zu setzen, ins sogenannte ernsthafte Fach zu wechseln. Dennoch gefällt sie in der Rolle des kettenrauchenden Luders (wie zuletzt in Diabolique ) immer noch am besten. Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Sie gibt sich Mühe und das nicht ohne Erfolg. Sie spielt zurückhaltend, genau und recht uneitel. Rick Hayes (Rob Morrow) ist ein Junge aus gutem Hause. Die letzten Jahre hat er, ganz im Gegensatz zu Cindy, mal hier, mal dort verbracht, unterwegs mit einem schnittigen Cabriolet, Papas Visa-Card im Hintergrund. Jetzt hat er einen Job beim Gouverneur, in der Behörde, die für die Bearbeitung der Gnadengesuche zuständig ist. Cindy ist sein erster Fall, und er ist sogleich fasziniert von ihr, auch wenn sie anfangs seine Hilfe strikt ablehnt. Emsig begibt sich der zaghaft verliebte Pflichtanwalt auf die Suche nach Verfahrensfehlern, die Cindys Leben retten könnten. Der Termin für die Hinrichtung steht fest. Die Zeit arbeitet gegen sie. Hoffnungen, Rückschläge, verzweifelte Gesichter - ebenso verzweifelt der Versuch des Films, Spannung aufzubauen. Bald muß der gute Rick erkennen, daß es in diesem Fall nicht um ein gerechtes Verfahren geht, sondern um die Wahlkampfstrategie des Gouverneurs. Der junge Anwalt reift zusehends mit jeder Erfahrung, und so ist auch dies nicht nur ein Film über Leben und Tod, sondern ebenso über das Erwachsenwerden. In Dead Man Walking wußte man schon früh, daß alles unausweichlich auf die Hinrichtung des Todeskandidaten hinausläuft. Trotzdem hat man das Hin und Her mit Spannung verfolgt. Vielleicht lag das daran, daß diesem Film sein Thema spürbar mehr am Herzen lag. Regisseur Bruce Beresford und Drehbuchautor Ron Koslow interessieren sich in Last Dance allein für den dramatischen Bringwert der Todensstrafenstory. Das ist nicht verwerflich, das ist ihr Job. Nur können sie sich nicht entscheiden, aus dem Stoff ein wirklich packendes Melodram zu entwerfen und schrecken in zentralen Momenten pietätvoll vor der Größe des Themas zurück. Und so eiert dieses Filmchen verklemmt zwischen Political Correctness und großer Schnulze hin und her, ohne das Herz zu erwärmen oder den Verstand zu schärfen.
Martin Schwickert
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