CROSSING THE BRIDGE

Türken-Rap
Fatih Akins Dokumentation der Musikszenen in Istanbul

In Fatih Akins Gegen die Wand war Istanbul nur ein Nebenschauplatz. Die lebenshungrige Sybel flüchtete in die Bosporus-Metropole, als ihr das Moralkorsett der türkischen Community in Hamburg zu eng wurde. In Akins neuem Film Crossing the Bridge spielt Istanbul nun die Hauptrolle. Zusammen mit dem Bassgitarristen der Einstürzenden Neubauten, Axel Hacke, macht sich der Film auf die Suche nach dem Sound jener Stadt an der Grenze zwischen Europa und Asien.
Dabei tastet er die ganze Bandbreite der Istanbuler Musikszene ab. Von der neopsychedelischen Band Baba Zula bis zu dem türkischen Altrocker Erin Koray, von der Hip-Hop und Breakdance-Szene im Stadtteil Bakirköy bis zu den sphärischen Weltmusikklängen von Mercan Dede, von Straßenmusikern, die sich der Konsumgesellschaft verweigern, bis hin zu den großen Stars der türkischen Popmusik.
Sieht man einmal vom etwas hölzernen Off-Kommentar Axel Hackes ab, gelingt es Akin, ein höchst lebendiges Bild der türkischen Musik zu zeichnen. Dabei endet sein Konzept, die gegensätzlichsten Musikrichtungen in einer Dokumentation zu vereinigen, keineswegs in unverbindlicher Beliebigkeit. Im Gegenteil scheinen sich die Klänge aus verschiedenen Generationen und Kulturen miteinander zu vernetzten. Wenn der Rapper Ceza seine Verse in irrsinnigem Stakkato heraussingt, glaubt man, der Hip Hop sei für die türkische Sprache erfunden worden. Über die amerikanischen Gangsta-Rapper rümpfen die Istanbuler Kollegen nur die Nase. Die seien zu unpolitisch, und der 60jährige Vater fügt hinzu: Hip Hop ist die Musik, die die Türkei heute braucht.
Kurdische Musik war über zehn Jahre lang in der Türkei verboten. Wenn die kurdische Sängerin Aynur in einem alten Hamam traditionelle Klagelieder anstimmt, spürt man eindringlich den erlebten Schmerz ihres Volkes. Der Höhepunkt des Films ist der Auftritt Orhan Gencebays, der in den 60ern auch ein beliebter Filmstar war. Er ist der Meister der Saz, einer Langhalslaute, die Gencebay mit seinen modernen Arabesquen wieder zum populären Instrument gemacht hat. Schließlich tritt die Königin der türkischen Popmusik Sezen Aksu ans Mikrofon und beschwört mit Istanbul Hitirasi das Istanbul der 30er Jahre.
Akin schafft es, für die verschiedenen Künstler die richtige Bühne zu finden. Sein Film öffnet Augen, Ohren und Herzen für eine Musik, die es verdient hat, über die Grenzen von Istanbul, Kreuzberg und Altona bekannt zu werden.

Martin Schwickert
Crossing the Bridge: The Sound of Istanbul. R&B: Fatih Akin. K: Hervé Dieu D: Alex Hacke