MEAN CREEK

Stand by me
Ein Jungen-Drama vor sommerlicher Kulisse

Der dicke George (Josh Peck) ist auf dem Schulhof ein gefürchteter Schläger. Es lässt sich nicht mehr herausfinden, ob alle ihn meiden, weil er so gewalttätig ist, oder ob er nur um sich schlägt, weil keiner etwas mit ihm zu tun haben will. Als der schmächtige Sam (Rory Culkin) seine Videokamera anfasst, verdrischt George ihn vor den Augen seiner Mitschüler.
Die eher alltägliche Schulhofszene ist in Jacob Estes´ Regiedebüt Mean Creek der Ausgangspunkt für ein intensives Jugenddrama, in der moralische Kernfragen sehr realitätstauglich diskutiert werden. Als Sams älterer Bruder Rocky (Trevor Morgan) von der Prügelei erfährt, heckt er mit seinen Kumpels einen Racheplan aus. Bei einer Bootstour wollen die Freunde den dicken George irgendwo in der Pampa nackt aussetzen. "Wir müssten ihm wehtun, ohne ihn zu verletzen", sagt Sam, der dem Vorhaben skeptisch gegenüber steht. Es kommt anders als geplant. Schon bald erkennen die Jugendlichen, dass George auch nur ein armes Würstchen ist, das krampfhaft um Aufmerksamkeit buhlt. Während das Boot langsam durch die idyllische Sommerflusslandschaften Oregons treibt, versickern die Rachegelüste. Nur der ältere Marty (Scott Mechlowicz) will an der Strafaktion festhalten.
Mean Creek ist eine Perle des amerikanischen Independent-Films. Vollkommen entspannt und frei von didaktischer Planerfüllung entwirft Estes ein spannendes Gruppenkammerspiel vor sommerflirrender Naturkulisse. Zunächst scheint es, als würden die zivilisatorischen Deformationen durch die Ruhe des Flusses und den weiten Raum der Erkenntnis von den jugendlichen Figuren abfallen.
Aber die gewalttätigen Reflexe sind stärker und zwingen sie in einen Konflikt hinein, dem sie nicht gewachsen sind. Mean Creek ist eine vollkommen unschematische Studie über die Selbstlaufmechanismen jugendlicher Gruppendynamik. Die jungen Schauspieler, vor allem Rory Culkin und Carly Schroeder, spielen ihre Charaktere mit beeindruckender emotionaler Dichte. Die ruhigen, besonnenen Bilder von Sharone Meir zeigen, dass man mit der Handkamera nicht nur verwackelte Pseudo-Doku-Aufnahmen drehen kann, sondern damit auch eine poesievolle Nähe zu Figuren und Landschaft entwickeln kann.

Martin Schwickert
USA 2004 R&B: Jacob Aaron Estes K: Sharone Meir D: Rory Culkin, Josh Peck, Carly Schroeder