C.R.A.Z.Y
Kirchgang mit den Rolling Stones Eine Familien-Komödie aus Kanada über die 70er
Als an Heiligabend 1960 Zachary Beaulieu als dritter Sohn einer katholischen Familie in Québec auf die Welt kommt, sind die Eltern davon überzeugt, dass dieses Kind etwas besonderes ist. Der Vater ernennt ihn bald zum Lieblingssohn, mit dem er heimliche Spritztouren zur Pommes-Bude unternimmt. Die Mutter glaubt an die spirituellen Fähigkeiten des Jungen, der als Fernheiler für Schnittwunden und Magengeschwüre in der weit verstreuten Verwandtschaft eingesetzt wird.
Nur mit der eigentlichen Besonderheit ihres Sohnes können die Eltern nicht umgehen. Als Zach im Alter von fünf Jahren Muttis Perlenkette umlegt und das neugeborene Brüderchen stillen will, geht der schockierte Vater auf Distanz.
Vergeblich versucht er den Kleinen zu einem ordentlichen Macho zu erziehen, während vor der Haustür die 70er-Jahre vorbeiziehen, die ganz andere Ideale vor sich hertragen. Um den Ansprüchen des Vaters gerecht zu werden, verleugnet Zach während der Pubertät seine homoerotischen Neigungen und findet erst durch eine erleuchtende Reise ins Heilige Land zu sich selbst.
Jean-Marc Valleé inszeniert seine Coming Out/of Age-Geschichte nicht als politisch korrektes Familienpsychodrama, sondern als bunte Komödie, die mit viel Sinn für Zeitkolorit durch die 60er, 70er und 80er Jahre lustwandelt. Manchmal, etwa wenn der Vater jedes Jahr an Weihnachten zu einer Charles Aznavour-Imitation ausholt, leistet sich Valleé sogar Ausflüge in die Gefilde der Sitcom, um sich wenig später in Traumsequenzen wieder in einen skurrilen Surrealismus zu stürzen.
Vor allem aber wird dieser Film durch die Musik getragen. Seit Almost Famous waren nicht mehr so viele gute Songs auf der Musikspur versammelt.
Zum Kirchgang singen die Stones "Sympathy for the Devil" aus dem Off. David Bowie's "Space Oddity" wird zum musikalischen Kristallisationspunkt im pubertären Selbstfindungsprozess, und Patsy Cline's "Crazy" zum Symbol der Differenz zwischen Vater und Sohn.
Die Mixtur aus französischer und amerikanischer Popkulturgeschichte verleiht dieser frankokanadischen Produktion zusätzlich ihren ganz eigenen Charme.
Martin Schwickert
Kanada 2005 R: Jean-Marc Vallée B: François Boulay, Jean-Marc Vallée K: Pierre Mignot D: Marc-André Grondin, Michel Côté, Danielle Proulx
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