CON AIR


Muskelfleisch

Hau drauf und durch: Der Action-Hit des Sommers 97

Der Sommer ist (nur in Deutschland - der Netzbold) die schlechteste Jahreszeit für Kinobetreiber. Nicht nur, daß sich das Publikum lieber in den Biergärten aalt, als im Dunkeln die Leinwand anzustarren, auch die Film-Verleihe laden in den heißen Monaten gerne ihren überflüssigen Ballast ab (in Amiland starten gerade die Blockbuster im Sommmer, weil da alle Kids gleichzeitig monatelang schulfrei haben - der Netzbold). Die deutsche Kinowirtschaft hat sich nun seit letztem Jahr mit der kollektiven Werbekampagne "Der Sommerhit im Kino" daran gemacht, das Image dieser vernachlässigten Saison aufzupolieren. Zwischen die Nieten werden ein paar Blockbuster-US-Kassenschlager gemischt, schön ordentlich über die Sommermonate verteilt: Im Juni kommt die Disney-Tochter Buena Vista mit Con Air zum Zuge, im Juli die 20th-Fox mit Volcano und im August Universal mit der Fortsetzung von Jurassic Park. So friedlich gehen die großen Verleihe selten miteinander um.
Con Air also, produziert von Jerry Bruckheimer, der schon im letzten Jahr mit dem "Sommerhit" The Rock kräftig abkassierte - Con Air ist nach dem gleichen Erfolgsrezept zusammengeschüttet: dickes Staraufgebot, leicht verständliche Handlungsführung und viel Wummkrachkrawumm. Nicolas Cage darf auch hier wieder den Helden spielen, obwohl man hinter seinem chronisch melancholischen Blick immer noch den versoffenen Drehbuchautor aus Leaving Las Vegas vermutet. Sein Cameron Poe ist ein hochdekorierter US-Soldat, der einmal zu fest zugelangt hat, um seine schwangere Frau zu beschützen. Der Totschlag bringt ihm acht Jahre Knast ein, die er mit Liegestützen, Bücherlesen und Briefeschreiben an das nie gesehene Töchterchen verbringt. An deren achtem Geburtstag soll er freigelassen werden.
Die ersehnte Familienzusammenführung verzögert sich jedoch, weil hier - ähnlich wie bei Bruce Willis' Die Hard-Weihnachtsbesuchen - ein Mann wieder einmal tun muß, was zu tun ist. Ausgerechnet mit einem Gefangenentransport, in dem die gefürchtetsten Schwerverbrecher der USA per Flugzeug in einen neuen Hochsicherheitstrakt verbracht werden, soll unser Held in die Freiheit fliegen. In der Prison Class der "Con Air" nehmen unter anderem Platz: der hochintelligente Serienmörder Cyrus "The Virus" (John Malkovich), der schwergewichtige Black-Power-Terrorist "Diamond Dog" (Ving Rhames), der Massenvergewaltiger Johnny-23 (Danny Drejo), ein Drogenbaronsöhnchen und der psychopathische Leichenzerstückler Garland Green (Steve Buscemi), der im schicken Hannibal-Lecter-Ganzkörperkorsett eingeliefert wird. Ruckzuck hat die Kriminellen-Elite nach wenigen Kinominuten das Flugzeug mit einem sauber vorbereiteten Putsch in ihre Gewalt gebracht, und die Ordnungsmacht am Boden (John Cusack / Colm Meany) versucht vergeblich Herr der Lage zu werden.
Con Air lebt von der Übertreibung. Nicht kleckern, sondern klotzen heißt die Devise. Nicht ein Bösewicht, sondern eine ganze Flugzeugladung voll Schwerstverbrecher. Keine ausgeklügelten dramaturgischen Konzepte, sondern Dauerbeschuß. Kaum sind die Titeleinblendungen vorbei, wird aus vollen Rohren geballert und gehauen, was das Zeug hält. Ein eineinhalbstündiger Dauer-Show-Down nimmt seinen Lauf. Mit viel Sinn fürs Detail wird kaputt gemacht, was kaputt zu machen ist. Das ist schön anzusehen, weil es gut choreographiert ist (Regiedebüt: Simon West) und nicht an Material gespart wurde. Con Air ist ein Herrengedeck, sowohl was die Besetzung, als auch was die anvisierte Publikumszielgruppe angeht. Wer schon einmal gesehen hat, mit welcher diebischen Freude in der Buddelkiste kleine Jungs des anderen Sandburg verwüsten, weiß, woher Filme wie Con Air ihre Liebe zur Destruktion beziehen. In der Zerstörungsstatistik des Hollywood-Kinos steht seit Mars Attacks Las Vegas an erster Stelle, und so setzt Con Air zur finalen Bruchlandung in der neonbunten Casino-Stadt an. Auch das ist schön anzusehen (Unfug, den Trick glaubt nicht mal die Stewardess - der Netzbold), und am Schluß regnet es Geldscheine. Zu einem guten Action-Film gehören heutzutage auch immer ein Schuß Selbstironie und ein paar sauber plazierte Insider-Jokes für Genre-Liebhaber. Auch hieran spart Con Air nicht.
Die hochkarätige Schauspielerriege mußte sich in geistiger Hinsicht wahrscheinlich kaum auf ihre Rollen vorbereiten. Von John Malkovich bis Colm Meany sind sie alle getreu ihrem Image besetzt. Sie tun das, was sie am besten können. Die meisten von ihnen werden jedoch wohl einige Wochen im Fitness-Studio zugebracht haben. Denn was hier an tätowiertem Muskelfleisch ins Bild gesetzt wird, kann mit jeder Wrestling-Show konkurrieren. Und ähnlich wie diese Sportart ist auch Con Air ein großer Spaß für schlichte Gemüter.

Martin Schwickert