BOWLING FOR COLUMBINE Are we nuts?
Ein böser Film-Essay über die Waffenverliebtheit in den USA Als am 20.April 1999 zwei Jugendliche in der US-Kleinstadt Littleton bis an die Zähne bewaffnet in die Columbine Highschool eindrangen, zwölf Schüler und einen Lehrer niederschossen, etliche Mitschüler verletzten und sich am Schluss selbst das Leben nahmen, schüttelte man hierzulande nur ungläubig den Kopf. Das seien eben amerikanische Verhältnisse und keinesfalls mit den unsrigen zu vergleichen. Dann kam Erfurt und belehrte alle eines Schlechteren. Mit übereilten Erklärungen war man dies- und jenseits des Atlantiks schnell zur Stelle: Waffengesetzgebung, Schulsysteme, Videospiele und Heavy Metal-Musik kamen an den Pranger, mit dem Ziel, die Schuld schnellst möglich von der Gesellschaft wegzudeligieren. Der amerikanische Filmemacher Michael Moore ist keiner, der sich mit solchen Antworten zufrieden gibt. Sein dokumentarisches Essay Bowling For Columbine wird von dem festen Willen angetrieben, die Fragen hinter den Antworten zu finden. Ausgehend vom Morgen des 20. April 1999, an dem sich die Todesschützen zuvor zum Bowling trafen und Präsident Clinton die schwersten Luftangriffe im Kosovokrieg fliegen ließ, tritt Moore eine Reise durch die Gemütslage einer Nation an, in der 250 Millionen legale Schusswaffen in privaten Haushalten lagern und jährlich 11.000 Menschen mit einer Kugel im Leib sterben. Moore - selbst bekennender Waffenfetischist - interviewt paramilitärische Bürgerwehren in den Wäldern von Michigan, den Betreiber der größten amerikanischen Rüstungsfirma und schließlich sogar den Schauspieler Charlton Heston, der als Vorsitzender der "National Rifle Association" nur zehn Tage nach dem Columbine-Massaker in Littleton für seine Organisation die Werbetrommel rührte. Kreuz und quer tingelt Guerillafilmer Moore durch die US-Gesellschaft und geht der Frage nach "Are we a nation of gun nuts or are we just nuts?" Ein Ausflug nach Kanada bestätigt letztere Vermutung: Obwohl hier fast jeder Haushalt mit einer Waffe ausgerüstet ist, bleibt die Mordrate verschwindend gering. Sogar die Haustüren bleiben in diesem vertrauensseligen Nachbarstaat unverschlossen. In einem Schnelldurchlauf durch die amerikanische Geschichte in Comic-Form zeigt Moore, wie sich in den USA von den Pilgervätern bis zum 11. 9. 2001 eine Kultur der Angst etabliert hat, die sich in der sensationslüsternen Mediengesellschaft ständig neu reproduziert. So stichhaltig die Theorie daherkommt, die Stärke von Bowling For Columbine liegt nicht in wasserdichten Erklärungsmustern, sondern in der assoziativen Analyse, dem Gegenüberstellen von Privatem und Politischen und dem bestechenden Witz, mit dem Moore dieses todernste Thema angeht. Bowling For Columbine war der erste Dokumentarfilm, der für einen Wettbewerb in Cannes auswählt wurde; er erhielt dort den Spezialpreis der Jury.
Martin Schwickert
USA/Kananda/D 2002 R&B: Michael Moore
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