COCO CHANEL & IGOR STRAVINSKY

Liebe ganz oben

Zwei Ikonen der Moderne hatten eine kurze Affaire

Egal was passiert, spielen Sie weiter", sagt der Dirigent zum ersten Geiger auf dem Weg zum Orchestergraben. Paris 1913: Das Théâtre des Champs-Élysées ist bis auf den letzten Platz ausverkauft. Igor Stravinskys revolutionäres Musiktheater "Le sacre du printemps" wird uraufgeführt, und schon nach wenigen Minuten verlassen die ersten Besucher den Saal. Das Publikum ist empört über das polytonale Werk. Es kommt zu tumultartigen Szenen.

Eine elegant gekleidete Dame in einer der mittleren Reihen beobachtet den veritablen Skandal mit amüsierter Faszination. Auch sie ist eine treibende Kraft der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts: Die Modeschöpferin Coco Chanel, die die Frauen vom Korsett befreit, die sich in einer Branche behauptet hat, die bis dahin fest in Männerhand war.

Jan Kounens Coco Chanel & Igor Stravinsky setzt dort ein, wo Anne Fontaines Coco Chanel im letzten Kinojahr aufgehört hat. Beschäftigte sich Fontaine mit dem frühen Werdegang vom Waisenmädchen bis zu Chanels erster Modeschau, konzentriert sich Kounen auf die wenige Monate dauernde Affäre zwischen der Modedesignerin und dem Komponisten.

Chanel hat es längst zu unanfechtbarem Ansehen und beträchtlichem Wohlstand gebracht, als sie den mittellosen russischen Emigranten Stravinsky samt kranker Frau und vier Kindern einlädt, mit ihr in der geräumigen Villa am Rande von Paris zu wohnen. "Mögen Sie keine Farben?" fragt Madame Stravinsky, als sie das sorgfältig designte Gästegemach betritt. "Doch: Schwarz." antwortet Mademoiselle. Die Einladung der Mäzenin erfolgte nicht ganz uneigennützig, und schon bald beginnt hinter dem Rücken der Familie eine hitzige Affäre zwischen der selbstbewussten Modeschöpferin und dem nicht minder eigenwilligen Komponisten.

Etwas plakativ werden hier die beiden Frauenfiguren zur Versinnbildlichung der hereinbrechenden Zeitenwende herangezogen. Auf der einen Seite die dem Künstler ergebene kränkelnde Musikergattin, die nur durch ihren Mann zu leben scheint und noch fest in den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts verhaftet ist. Auf der anderen Seite die moderne, auch ökonomisch unabhängige Frau, die dem genialen Komponisten auf Augenhöhe begegnet, ohne ihre gesellschaftliche und emotionale Selbstständigkeit aufzugeben.

Jetzt fehlt nur noch der dritte und spannendste Teil der Chanel-Biografie: Ihre Affäre mit dem Pressebeauftragten des deutschen Propagandaministeriums Hans Gunter von Dincklage während des Zweiten Weltkrieges, die die Modekönigin in Frankreich lange Jahre als Kollaborateurin in Verruf gebracht hat. Dass dieser Film nie gedreht wird, dafür wird die Firma Chanel, die immer noch streng über das Image der Gründerin wacht, schon sorgen.

Martin Schwickert

F 2009 R: Jan Kounen B: Chris Greenhalgh K: David Ungaro D: Anna Mougalis, Mads Mikkelsen, Yelena Morozova, Natacha Lindinger