CHASING AMY


Liebes-Leben in New Jersey

Nach Clerks und Mallrats: Voller Lust von Fettnapf zu Fettnapf

Seit Sandkastentagen sind Holden (Ben Affleck) und Banky (Jason Lee) unzertrennliche Freunde, als Comic-Buch-Autoren stehen sie heute am Anfang einer vielversprechenden Karriere. Zwei große Jungs aus Red Bank, New Jersey auf dem Weg zum Erfolg. Die Männerfreundschaft kommt ins Schwanken, als Holden sich in die flippig-schlagfertige Comic-Macherin Alyssa (Joey Lauren Adams) verliebt. Holden wird schnell aus seinen romantischen Träumen auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, als er feststellen muß, daß Alyssa lesbisch ist. Trotzdem entwickelt sich zwischen den beiden zunächst eine rührige, platonische Freundschaft: Nächte durchmachen, Kindheit erzählen, Seelenverwandtschaft feststellen usw... Banky begleitet die Entwicklungen mit kritisch-eifersüchtigen Kommentaren und behält in seinen argwöhnischen Weissagungen recht: irgendwann sitzen Alyssa und Holden bei strömenden Regen im Auto, und ein 10minütiges Dauerliebesgeständnis im Hollywoodformat bricht aus Holden heraus. Alyssa wehrt zunächst empört ab und gesteht sich erst später ihre Gefühle zu Holden ein. Die Romanze beginnt, Banky ist genauso eingeschnappt wie Alyssas lesbischer Freundinnenkreis und für ein Happy End ist es ohnehin zu früh.
Chasing Amy ist der dritte Teil der New-Jersey-Trilogie des Low-Budget-Filmemachers Kevin Smith, und wie der erste Teil Clerks (der zweite Teil Mallrats erschien hier nur auf Video) ein Quasselfilm besonderer Güte. Auch hier scheint es für die Protagonisten kaum einen Unterschied zwischen Denken und Reden zu geben. In schlagfertigen, witzigen und pointenreichen Dialogen werden Begriffe wie Freundschaft, Liebe und sexuelle Identität durchdekliniert. Dabei ist es am Schluß nicht Alyssas Lesbischsein, sondern ihr lang zurückliegendes wildes Heteroleben, das das junge Glück in die Krise stürzt. Genau wie die männliche Hauptfigur in Clerks, Dante, nicht über die Tatsache hinwegkommt, daß seine Freundin mit exakt 37 Männern vor ihm Sex hatte, sowenig verkraftet es Holden, daß Allyssa am College mit mehereren Kerlen gleichzeitig herumgemacht hat. Wo Holden doch dachte, er wäre der erste. "Beim Sex denken immer alle, sie seien Marco Polo", kommentiert Freund Banky schadenfroh.
Chasing Amy setzt sich mitten hinein in die Empfindlichkeiten zwischen Homo- und Heterosexuellen, stapft tapfer von Fettnapf zu Fettnapf. Das Erfrischende daran ist, daß hier ohne politisch-korrekte Rücksichtnahmen herumdiskutiert wird und die Dinge umstandslos beim Namen genannt werden. Und so entstehen Filmszenen von neuer Qualität, so z.B. wenn Stock-Hetero Banky und Noch-Lesbe Alyssa in einer Bar en detail über Artenvielfalt, unterschiedliche Beschaffenheit und Vorzüge von primären Geschlechtsorgane bei Männern und Frauen debattieren. Oder wenn im Beziehungstreit zwischen Alyssa und Holden die Frage im Raum steht: "Wie genau definierst Du Jungfräulichkeit?" Auch wenn es der ein oder anderen tragisch gemeinten Szene vielleicht an Glaubwürdigkeit fehlt, so überzeugt der Film vor allem durch seinen Umgang mit den Figuren. Nimmt man sie in der einen Szene noch ernst, lacht man sie in der nächsten schon wieder aus. Nie jedoch verliert man Sympathie und Respekt vor denen, die sich dort auf der Leinwand um Kopf und Kragen reden.

Martin Schwickert